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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelle Groom
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Als ich an der Reihe bin, tue ich nur so, ich nehme die Flasche zwischen die Lippen und halte das bittere Getränk mit der Zunge auf. »Du hast nur einen Schluck genommen«, sagt jemand und argwöhnt, dass ich mich nicht gleichermaßen an dem Biertrinken beteilige. Es soll aufregend sein. Ich glaube, ich nehme die Flasche noch einmal, dem zu Gefallen, der gesprochen hat. Lehne mich zurück, trinke nicht. Ich habe Angst, wenn ich nicht aufpasse, klettere ich auf ein Haus und springe runter. Sterbe bei einer Luftakrobatik. Ich weiß, wie es dem Mädchen in
Go Ask Alice
ergangen ist. Aber ich kenne den Unterschied zwischen Alkohol und Acid nicht – ich weiß nicht, was das eine, was das andere bewirken kann.
    Im Französischunterricht nimmt Sharee mich zur Freundin. Sie gibt mir ein Gedicht von Victor Hugo, ein leichtes, für einen Wettbewerb unter Neuntklässlern, der von der Universität an einer anderen Küste veranstaltet wird. Sie nimmt das schwerere, das für Zehntklässler gedacht ist, und überlässt mir das Ehrenband. Wir sind
l’école numéro huit.
Zusammen erklimmen wir die Statue eines Mannes und werfen die Arme aus. Manchmal sitzen wir abends auf dem Rasen. Einmal, als es dunkel wird, sagt sie: »Deine Zähne sind so weiß.« Im Nebenhaus wohnt ein Junge, den wir beide nicht sehr mögen. Er tut nichts, man sieht ihn immer irgendwo am Rande, er trägt zu knappe Sportshorts und gerät einem immer wieder ins Blickfeld, wie ein blasses Schalentier. Eines Abends gibt er eine Party, die Jungen mit Motorrollern sind eingeladen. Es sind alles Brüder, einige über zwanzig, einige jünger als ich. Am Abend der Party muss Sharee bei Nachbarn babysitten. Ich leiste ihr Gesellschaft.
    »Du solltest hingehen«, sagt sie. Eigentlich will ich nicht. In einer Schublade finden wir ein Exemplar von
Butterfield 8
von John O’Hara – ich leihe es mir. »Du musst erst mal was trinken.« Ich habe noch nie getrunken. Aber so, wie sie es erklärt, klingt es sinnvoll, als Vorbereitung für die Party. Nicht dass ich nicht neugierig wäre. Die Küche ist weiß. Sharee macht die Schränke auf, findet eine Flasche Rum. »Ich kann eine Rum-Cola machen«, sagt sie und nimmt eine Dose Cola aus dem Kühlschrank. Ich bin beeindruckt, dass sie weiß, wie man das macht. Sie trinkt aber nicht mit, weil sie auf die Kinder aufpasst. Sie nimmt ihre Verantwortung ernst. Das tue ich später auch, als ich für die Leute auf ihre Kinder aufpasse, die mich Helen nennen und das Cat-Stevens-Album haben – ich stehle zwar ihren Alkohol, trinke ihn aber nicht, während ich arbeite. Aber später verstehe ich, dass ich nicht gern allein trinke, das ist der Grund.
    Sharee gibt mir das Glas. Das Getränk schmeckt wie sehr kalte Cola. Das dicke, durchsichtige Glas ist wie ein Eisstück an meinen Lippen, etwas, worauf ich beißen kann. »Vielleicht solltest du noch ein Glas trinken«, sagt sie. Ich fühle mich nicht irgendwie anders, nicht bereit für die Party. Sie macht mir noch einen Drink. Die beiden Drinks schlagen gemeinsam zu. Meine Brust strahlt aus, in mir eine Sonne. Ich mache mich auf zu der Party, ein paar Häuser die Straße entlang. Ich spreche mit einem der älteren Motorradbrüder. Er sitzt gekrümmt auf seinem Motorrad, als wäre die Luft zu schwer. Nur sein Kopf hebt sich, wie bei einer Schlange. Er muss die Augen heben, um mich zu sehen. Zwar ist er einer der freundlicheren Brüder, aber er ist nicht attraktiv. Er ist weniger grob als die anderen und grollt – es gebe ein Problem, weshalb die Brüder nicht zu der Party gehen könnten, eine Beleidigung, die einem der Brüder zugefügt wurde. Der grollende Motorradfahrer hat eine Flasche Bier dabei, er will wegfahren und die Horde seiner Brüder zurücklassen. »Bleib«, sage ich. Es ist 1976 . Inzwischen bin ich fünfzehn. Gebe ihm Rat. Sharees Nachbar ist im Haus, immer noch in den zu knappen Shorts. Ich habe eine Bierflasche in der Hand. Und dann sind wir alle im Haus, und das Trinken ist das Einzige, was die Party – oder mich – interessant macht.
    Trinken ist leichter, als ich mir vorgestellt hatte, weniger dramatisch. Ich spüre, wie ich mich sammle und um einen radioaktiven Mittelpunkt kreise, meine Arme strecken sich aus wie helle Blumen. Wo ich zu Ende bin, verschwimmt es. Als ich hinter dem Nachbarjungen nach oben gehe, um mir eine Zeichnung anzusehen, und er mich küsst – der Junge, über den ich mich lustig gemacht habe, weil er aus seinen Shorts fällt –, ist es für

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