Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)
Lachen zu bringen. Einmal hat er in seinem Restaurant eine besonders lange Schicht gearbeitet und dann unsere Verabredung verschlafen. Am nächsten Tag kam er mit einem Dutzend roter Rosen ins Einkaufszentrum und sagte, er würde nie wieder schlafen. Mir hatte noch nie jemand Blumen geschenkt. Wenn er mich ansah, sah ich an seinem Blick, dass er einen schönen Menschen zu sehen glaubte. Es gab mir das Gefühl, von Bedeutung zu sein.
Er und seine Frau standen kurz vor der Scheidung, da rief sie ihn an und sagte, sie sei schwanger. Da war nichts zu machen. Er war mit allen böse. Legte sich mit einem Polizisten an, wurde ins Gefängnis geworfen. Als ich ihn freikaufte, waren seine Sachen sauer, sein Gesicht war sauer. Wir waren sauer aufeinander – er konnte seine schwangere Frau nicht verlassen. Das war’s also. Ich ging zu einer Party, trank eine halbe Flasche von irgendwas, trank sechs Kamikazes, nahm von dem Qualuude. Ich weiß noch, dass eine Freundin immer wieder zu mir sagte: »Ich bin mir sicher, er liebt dich noch.« Als sie mich nach Hause fuhr, glitt ich vom Vordersitz in das Dunkle unter dem Handschuhfach. Ich beschloss, mein Studium für ein Semester zu unterbrechen und einfach nur zu arbeiten.
Im Sommer 1981 arbeitete ich vormittags in einem Donut-Laden, an manchen Nachmittagen im Merry-Go-Round, danach in der Saftbar nebenan. Abends arbeitete ich in der Cocktailbar des Eisenbahnrestaurants. Überall musste ich viel stehen. Für jeden Job gab es etwas anderes zum Anziehen: schwarze Shorts mit Hosenträgern, weißes Hemd mit roter Fliege in der Eisenbahnbar, aber im Donut-Laden wurden die Uniformen wild durcheinander in einem großen Karton aufbewahrt, und man konnte sich etwas aussuchen – hellbraune Hose mit hellbraun-rosa Oberteil oder ein Kleid von der Farbe wie Milchkaffee. Ich entschied mich für das Kleid, weil mir Röcke grundsätzlich lieber waren und ich mit Ann Wilson übereinstimmte, die in ihrem Interview im
Rolling Stone
sagte, Röcke seien hygienischer.
Es verging ein Monat, bevor eine Kollegin mir erklärte, dass mein Kleid in Wirklichkeit eine Tunika war. Tatsächlich war es mir sehr kurz vorgekommen, ich konnte mich nicht vornüberbeugen, wenn ich die Donuts ganz unten hervorholen wollte, und musste wie eine Prinzessin knicksen. Nichts war besonders teuer in dem Donut-Laden, noch konnte man irgendwas tun, das die Kunden beeindruckt hätte, sodass die Trinkgelder dürftig waren – ich sah einen Dime, einen Nickel neben einer leeren Kaffeetasse liegen und dachte:
Warum sich abmühen?
Mir wurde eine Beförderung angeboten, zum stellvertretenden Manager, Vollzeit bei den Donuts, was mich überraschte, da ich schon mit dem Anziehen nicht klarkam. Um die Ecke, fast in Sichtweite von dem Donut-Laden, hatte mein Freund »Sugar Mountain« gesungen, in seinem Zimmer, einem luftlosen Schlauch in einem winzigen Haus an der Straße. Aber die Donuts in dem Laden hatten kaum etwas mit Zucker zu tun, trockenes Gebäck, die gebackene Entsprechung für Kopfschmerzen – auch Kaffee mochte ich nicht, wie warm gemachter schlechter Atem, der Mund wie ein bitterer Ofen. Allein der Zuckerguss lohnte sich, der Hagelzucker und die Geleefüllung, die Schachteln, in die sechs Stück hineinpassten, eine große Donut-Familie unterwegs. Ich lehnte also das Angebot von zweihundert ab und hörte bald darauf ganz auf.
Auch Sophie, meine Trinkfreundin, habe ich in dem Jahr kennengelernt, als wir beide in der Saftbar im Altamonte-Einkaufszentrum arbeiteten. Im Herbst 1981 fingen wir an, zusammen trinken zu gehen. Fast jeden Abend. Im Frühling 1982 , als Tommy schon sehr krank war, sagte sie, ich hätte die Achtung vor mir selbst verloren. Ich versuchte nicht mehr, mein Trinken unter Kontrolle zu bringen. Ich übernachtete oft bei ihr oder schlief im Auto.
Inzwischen ist es März 1984 , ich bin gerade aus der Ausnüchterung in der Gore Street gekommen. Meine Eltern mussten mich abholen. Mein Dad erzählte mir, meine Mom habe mit Fäusten an die Küchenwand gehämmert, gegen die Tapete mit den kleinen orangefarbenen Teekannen, sie habe geweint und gesagt: »Ich kann sie nicht wieder hier haben.« Aber sie hat doch nachgegeben. Nach der Arbeit gehe ich in das eine hell erleuchtete Lokal, das keine Bar ist, und trinke fünf Tassen Kaffee in dem Donut-Laden, wo ich im Sommer 1981 gearbeitet hatte. Der neue Nachtbäcker hält der Serviererin den Zeigefinger hoch – sie soll mir nur eine Tasse berechnen. Bald ist
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