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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelle Groom
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nicht. Ich brauche das Geld. Außerdem bin ich mir bei dem Nachtbäcker nicht sicher – er ist schön, aber er könnte der Typ sein, dem alle Frauen gefallen. Ich könnte einfach eine der Frauen sein, die ihm gefallen. Ich bin trotzdem auf ihn fixiert. Mit nachlassendem Drang zu trinken fixiere ich mich auf alles Mögliche. Mir wird schwindlig davon. Mit einem High von mehreren Tassen Kaffee gehe ich nach Hause und schreibe in meinem Zimmer.
    Am nächsten Abend gehe ich nach der Arbeit in den Donut-Laden. »Den nächsten freien Wochentag gehen wir zusammen schwimmen«, sagt er.
    »Ach ja?«, sage ich. Hier scheint es nur um Sex zu gehen, ich meine, selbst der Grobian beim Blind Date hat mich ausgeführt. Der Nachtbäcker berührt mich an beiden Armen, zufällig, aber anscheinend muss er mich irgendwo berühren. Er umfasst meinen Oberarm, als wollte er mich festhalten. Als könnte er mich zwingen, das zu tun, was er will.
    Mein Name ist zusammen mit einem Herzen und anderen Kritzeleien und einem Pfeil auf einen der roten Vinylsitze in dem Donut-Laden geritzt, den zweiten von der Kasse. »Kelly« – mein Name ist falsch geschrieben, glaube ich. Ich will nicht, dass jemand bemerkt, dass ich gucke, deswegen sehe ich es nicht genau. Am nächsten Tag geht der Nachtbäcker vor Gericht, um seine Scheidung einzureichen. Er ist achtundzwanzig.
    Mein Auto ist kaputt. Ich habe keine zweihundert Dollar, um es reparieren zu lassen, und fahre deshalb mit dem Bus zur Arbeit. In Orlando funktionieren die Busse nur, wenn man in der Innenstadt wohnt. In den Außenbezirken fahren sie nur alle Stunde oder so. Verpasst man einen, muss man eine Stunde auf den nächsten warten. Ohne mein Auto gibt es keine Treffen, keinen Donut-Laden. Man konnte leicht denken, dass ich Fortschritte machte – fast drei Monate ohne Alkohol, bis irgendwas schiefgeht und ich mich gefangen fühle. Ich nehme meine Schlüssel von dem Tisch in meinem Zimmer und ziehe sie über die Innenseiten meiner Arme. Ich möchte das Fenster aufreißen. Möchte in die kalte Luft hinausgehen, damit sie meine Wut wegbläst. Möchte woanders hin. Ich setze mich an meinen Schreibtisch und fange an zu schreiben. Mein Arm ist rot mit noch röteren Flecken. Geschwollen, höckerig mit langen Wülsten. Ich habe Angst, mit dem Tippen aufzuhören. Ich habe Angst, wenn ich das tue, fange ich an zu sterben.
    Mein Auto wird repariert. Meine Eltern leihen mir das Geld. Ich fahre in den Donut-Laden und fange beinahe an zu weinen, als ich ein hübsches Mädchen mit dem Nachtbäcker hinten im Laden sehe. Sie hat ein Baby. Anscheinend will er nicht mit mir sprechen, solange sie da ist. Zufällig geht sie kurz vor mir, und der Nachtbäcker kommt hinter mir her und flirtet wie verrückt. Ich bin ihn gründlich leid. Er sagt: »Ich habe gemerkt, wie du das Baby angesehen hast.« Eigentlich weiß er nichts von mir. Weiß nicht, dass mein Baby gestorben ist. Weiß nicht, dass ich, wenn ich ihr Baby sehe, nichts fühle außer der Leere an den Innenseiten meiner Arme, wo ich meinen Sohn gehalten habe. Die Leere an meiner Brust, wo er gelegen hat. Ich habe alles mir Mögliche getan und würde es immer noch tun, um diese Leere nicht zu spüren – außer mich umbringen.
    Nach diesem Abend bin ich nervös, wenn ich in den Donut-Laden gehe. Habe Angst vor dem Nachtbäcker. Es fühlt sich wie Panik an. Er ist freundlich, flirtet aber nicht mehr, keine Bemerkungen, keine lüsternen Blicke. Einmal, als er vom Strand kommt, nähert er sich mir, aber einer von uns weicht zurück. »Komm doch und sieh, wie sich mein Sonnenbrand zu Bräune wandelt.« Er lacht.
    Jeannette, mit der ich arbeite, sagt: »Wenn er bisher nicht mit dir ausgegangen ist, dann will er es auch nicht. Dann mag er dich nicht genug.« Mich zum Schwimmen in seinen Pool einzuladen, zählt nicht. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Einmal, als eine Kundin ein Stück gefrorener Leber, unter ihrer Jacke verborgen, stehlen wollte, tippte Jeannette die anderen Waren in die Kasse und sagte dann: »Die Zwiebeln schmecken bestimmt gut zu der Leber.« Daraufhin gab die Kundin die Leber heraus. Meine anderen Kollegen, Chris, Pat und Stephanie, sehen die Sache mit dem Nachtbäcker anders als Jeannette. Sie glauben, dass er mich mag.
    Gestern Abend habe ich ein Vierteljahr Trockensein gefeiert, aber in meiner Gruppe hatten sie keine Drei-Monate-Chips mehr, ich habe also keinen bekommen. Die Pokerchips kennzeichnen die wichtigen Tage des Trockenseins.

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