Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)
Ballerina.
Ich mochte nicht aus dem Haus ausgesperrt sein. Meine Freundin Laurel war noch nie hier, ich lade sie also ein. Sie kommt und hat ihren Fotoapparat dabei. Auf einem Foto trage ich ein altmodisches ärmelloses Kleid und Netzstrümpfe und posiere schuhlos in der Hängematte auf der Veranda – einen Fuß in die Luft gereckt. Auf einem anderen Bild lehne ich mich über den Witwenausguck und winke Laurel unten auf dem Rasen zu. In der Tiefe des Hauses finden wir eine winzige Kammer hinter der Küche, der Türknauf bewegt sich nicht, ich lehne mich gegen die Tür. Als sie sich öffnet, zersplittert etwas aus Glas oder Kristall auf dem Boden. Seltsam, als wäre es so hingestellt worden, damit es runterfällt, wenn die Tür aufgeht. Vielleicht steckte im Schloss ein Schlüssel. Als ich die Tür schließe, sehe ich ein blindes Fenster, das zum Hof geht.
Inzwischen hat es weitere Affären mit Studentinnen gegeben, eine blonde Studentin, die ein Interview mit ihm für die Zeitung machen will und sagt, sie möchte seinen Geruch einfangen. Er fährt mit ihr in eine dunkle Bar auf dem Highway 50 . Lange Zeit trifft er sich mit einer jungen Frau, die wie ein zwölfjähriger Junge aussieht. Ich selbst finde ihn nicht attraktiv. Als mein Lehrer von seiner Reise zurückkommt, steht er mit einem geöffneten Päckchen im Garten. Ich komme runter und hoffe, schnell in mein Auto steigen zu können, aber er ruft mich zu sich. Er sagt, hinter der Küche sei ein kleines Zimmer, wo er manchmal schreibt – er habe dort eine alte Schreibmaschine –, und in dem Zimmer sei ein Gegenstand zerbrochen. Ich lächele geduldig, bin zu nervös, um zu hören, was genau ich zerbrochen habe. Er spricht ganz, ganz langsam. Ein Spiel, um mich zu einem Geständnis zu bringen. Das Spiel macht mich wütend.
Er starrt mich schweigend an, immer wieder hält er inne und starrt. Dann nimmt er ein Buch aus dem Päckchen in seiner Hand, er sagt, auf dem Umschlag sei kein Absender angegeben. Es war
Professor Romeo
von Ann Bernays. Er fragt: »Warum würde jemand das schicken?« Ob ich eine Ahnung hätte. Ich finde das Buch großartig, notwendig. Sein erstauntes Gesicht – wie kann er so überrascht sein? Er erinnert mich an mich selbst, wenn ich etwas vortäusche.
Don, mein Lyrikprofessor, empfiehlt mich für einen Aufenthalt in einem Schriftstellerhaus etwa eine Stunde entfernt, nahe der Küste. Ich kann dort umsonst wohnen. Drei Wochen lang werde ich mit Schriftstellern, Komponisten und bildenden Künstlern aus dem ganzen Land zusammen sein. Ich bekomme von der Arbeit frei. Bevor ich zu dem Aufenthalt abreise, erfahre ich von Don, dass die Englischfakultät mich für den Preis ausgewählt hat, der an einen herausragenden Studenten verliehen wird. Wieder gibt es eine Feier, eine Lesung. Es ist 1993 . Am Lesepult erinnere ich mich an 1989 , wie schnell ich damals gelesen habe. Auch jetzt bin ich nervös, aber nicht überwältigt. Es ist, als würden die Gedichte mich tragen, wenn ich sie lese.
Das Künstlerhaus liegt abgeschieden in einem Wald. Auf einem Schild steht: »Künstler bei der Arbeit«. Niemand hat mein Schreiben jemals Arbeit genannt. Es ist, als würde die Stätte selbst mir Respekt erweisen.
Im Atelier, einem schönen scheunenartigen Gebäude aus Zedernholz und Glas, aus dem man in den dunklen Wald blickt, nimmt ein Komponist mich an der Hand und wirbelt mich herum. Ich wusste nicht, dass ich so glücklich sein kann.
Als ich zurückkomme, bin ich so einsam, dass ich zu einem Open-Mike-Abend in einem Café gehe. Der Besitzer freundet sich mit mir an, sagt: »Ich habe vor, eine andere Art von Open-Mike-Veranstaltung zu organisieren.« Er sagt nicht, wie anders. »Würdest du die Leitung für mich übernehmen?« Ich weiß nicht, wie man etwas leitet, aber ich habe das Gefühl, ich sollte einfach Ja sagen. Es würde sich schon zeigen. »Ja.« Daraus wird eine Literaturorganisation, die ich gestalte und fünf Jahre lang leite, mit einer Lesereihe, Schreibwerkstätten, jährlichen Wettbewerben. Ich bekomme das Gefühl, dass ich Dinge bewirken kann.
Als ich meinen M.A. abschließe, bin ich schon von Lake Charm weggezogen, und mein Lehrer hat einen Hirntumor, Anfälle, Mühe zu unterrichten. Ein rothaariges Mädchen hat ihn geliebt. Der Direktor der Fakultät fragt, ob ich die Kurse des Lehrers, falls nötig, für ein Semester übernehmen könne. Dieser Lehrer war es gewesen, der vor zwei Jahren mit mir in das Büro des Direktors
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