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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelle Groom
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gegangen war und verkündet hatte: »Kelle steht zum Unterrichten zur Verfügung«, als wäre das eine großartige Neuigkeit. Als ich im Tutorenzentrum arbeitete, hatte ich angefangen, Vorbereitungskurse zu unterrichten, und ein Jahr danach wurde nebenan eine private internationale Sprachschule eröffnet. Pamela wurde als Lehrerin auf Vollzeitbasis angestellt, sie holte mich nach (allerdings verlor ich meine Stelle 1994 , als ein neuer Direktor kam und verlangte, alle Lehrer müssten einen M.A. in Linguistik haben). Ich war über den Campus in mein Büro gegangen, und er hatte mir geholfen. Ohne dass ich ihn gebeten hätte. Im nächsten Semester arbeitete ich als Lehrerin für Englisch an der UCF und an zwei Colleges und unterrichtete zusätzlich sieben Kurse auf vier verschiedenen Campus.
    Dem Fakultätsdirektor sagte ich: »Ja, ich kann seine Kurse übernehmen.« Mit einem Schuldgefühl, ähnlich wie das Schuldgefühl wegen der Dalmatinerin. An einem Tag hatte ich einen anderen Hund mit Pal im Garten gesehen. Sie war schon alt, und ich hätte den anderen Hund vertreiben sollen, war aber unsicher, was ich tun sollte und wie ich vom Fenster aus Einhalt gebieten konnte. Pal bekam in der Garage Junge, und später in dem Jahr starb sie. Als die Welpen zur Welt kamen, an ihr saugten, ihr die Kraft aussaugten, in einem Gebirge von vanillegelben Decken, fragte mein Lehrer immer wieder: »Wie konnte das geschehen?« Seine Fragen immer ganz leise, als spräche er zu sich selbst, als könnte man ihn nur zufällig hören.

Das Schuhmuseum
    Die Stadt Brockton starb, lange bevor ich geboren wurde, aber die Menschen wohnten weiterhin dort, ein einziger großer Friedhof. Leere Schuhfabriken, wie riesige Grabsteine mit Tausenden von kleinen ausgeschnittenen Fenstern, als hätten die drinnen versucht zu fliehen. Mein Dad war in Brockton geboren, so wie ich. Die Familie besaß kein Auto, hatte nie eins besessen. Kein Auto, kein Fernsehen und manchmal nur Kerzen statt Strom. Einmal, mein Vater war noch ein Kind, saß er auf dem Klo, eine Kerze in der Hand, und überlegte, was man mit der Flamme anstellen konnte; er hielt sie an die Vorhänge und sah zu, wie sie Feuer fingen. Er erzählte nicht viel davon, wie es war, in Brockton aufzuwachsen. »Dann kommt es doch bloß in einem deiner Gedichte vor«, sagte er pikiert. Als wäre ich eine Spionin, die sich in den Körper seiner Tochter eingeschlichen hätte. Eine Lauscherin. Aber ein paar Fakten weiß ich.
    Es war eine Stadt, die hauptsächlich aus Farmen bestand, bis Micah Faxon den Brockton-Schuhhandel erfand. Damals gab es keine rechten und linken Schuhe, sondern eine Form, die man sich beim Tragen passend machte. Micah schnitt das Leder zurecht und ritt mit den Schuhen nach Boston. Es gab auch noch keine Größen und Modelle und Leisten – man probierte einen Schuh an, um zu sehen, ob er passte. Micah, wie der Prinz mit dem Glasschuh, der dich zu finden hofft.
    Schuhfabriken entstanden, als die Nähmaschine erfunden wurde, sodass der Oberschuh an die Sohle genäht werden konnte, statt dass man ihn nagelte. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts scheint an der Ecke von Belmont Street und Main Street, nahe dem Haus, wo Nana Smith, die Mutter meines Vaters, zur Welt kommen sollte, wo sie leben und sterben würde, die Sonne hell auf die Straße, durch ein Muster aus Telefondrähten, ein eisernes Geflecht über der Stadt. Schwarze Autos stehen vor dem Mühlrad an, aufgereiht wie Trauerschleier, die gewölbten Dächer im Gebet erhoben. In der Straße summt es vom Strom, das erste Kraftwerk im Land. Sogar Edison kommt in die Stadt, um die erste elektrische Straßenbahn zu sehen.
    Meine Tante Julia, Tommys Mutter, arbeitete in einer der Schuhfabriken. Es war ihre erste Stelle, als sie aus der Highschool kam. Jetzt sind die Fabriken geschlossen, die Arbeit gibt es nicht mehr. Aber es gibt eine neue Zugverbindung nach Boston, dreißig Minuten zur South Station. Eine der alten Schuhfabriken ist in teure Lofts umgewandelt worden. Die Anlage heißt SoCo, was »So Cool« und »So Convenient« bedeuten kann, aber auch die Lage angibt: »South of Court Street«, südlich der Court Street. Dort hat man eine Zimmerdecke aus reinem Licht, ein Glasatrium, wo man gut Knöpfe aus Knochen annähen und winzige Stiche machen kann. Ein Ort der Konzentration, des offenen Himmels.
    Seit 1999 denke ich über Schuhe nach. 1996 war ein Buch erschienen, über die Kinder in Woburn, die an Leukämie gestorben waren,

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