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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelle Groom
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unglückliche Gestalt aus einem Roman mag, er hielt zu mir. Im Naturkostladen sagte die Besitzerin zu mir: »Du bist vielleicht belesen, aber du bist auch dumm.« Viele Jahre lang kommt mein Lehrer in den Laden und sagt: »Studier weiter.« Schließlich tue ich es.
    1989 , kurz vor meiner Graduierung, teilt mir ein anderer Lehrer mit, ich hätte einen Preis der Fakultät gewonnen, für herausragende Lyrik eines Studierenden. Er lächelt. Ich sage: »Stimmt das denn?« Es gibt eine Feier. Zum ersten Mal stehe ich vor Leuten und lese ein paar Gedichte vor. Ich muss meine Hände auf das Pult legen, weil sie so zittern. Meine Stimme ist wacklig. Aber anscheinend macht das nichts – alle sind still, hören zu.
    Ich beschließe, einen M.A. zu machen, obwohl ich neben der Arbeit nur ein oder zwei Kurse belegen kann. Die University of California in Florida nimmt mich in den neuen Studiengang für Kreatives Schreiben auf. Eine Frau, Pamela, die mit mir in einem Kurs war, kommt in den Naturkostladen. Sie hat es immer eilig, ihr blondes Haar weht, sie spricht hastig. Ich weiß, dass sie am Tutorenzentrum der Universität arbeitet, und bewundere sie dafür, für die gute Stelle, die sie hat. Einmal hatte ich zur Arbeit ein hübsches Kleid angezogen, und meine Kollegin Lana sagte: »Damit könntest du auch Sekretärin sein.« In Spanien war ich eine Art Sekretärin in der Waffenabteilung gewesen, aber ich hatte mich nicht dafür beworben, sondern nur ein Kästchen angekreuzt. Weder Lana noch ich wussten, wie man eine Stelle als Sekretärin bekommt, eine Arbeit, bei der man sitzen kann. Im Tutorenzentrum arbeitet noch eine andere Frau, die einen ähnlichen Aufgabenbereich wie Pamela hat. »Sie hat eine Assistentin eingestellt«, sagt Pamela und lässt den Blick über die Regalbretter mit den Vitaminpräparaten gleiten. Es ist 1990 . Ich weiß, dass sich soeben eine Tür öffnet. Aber ich muss einen Versuch machen, ich muss sprechen. »Ich würde sehr gern als Tutorin arbeiten«, sage ich. Es passiert so schnell. »Also, wenn Kathy jemanden einstellen kann, dann kann ich das auch«, sagt Pamela.
    Danach arbeite ich nur noch am Wochenende im Naturkostladen. In dem Zentrum übernehme ich als Tutorin die schriftliche Betreuung von Pamelas ESOL -Studenten, Studenten, deren Muttersprache nicht Englisch ist. Ich verdiene mehr Geld, sechs Dollar in der Stunde, und alle im Büro sind freundlich. Es ist eine Atmosphäre der Hilfsbereitschaft. Mir gefällt es, dass ich immer nur mit einem zu tun habe, das Tempo. Es ist eine solche Erleichterung, einer Aufgabe gewachsen zu sein, zu wissen, was zu tun ist. Hier sagt niemand, dass ich dumm bin. Eines Abends, vor einer Arbeitsgruppe, lächelt Don mir zu, Don, mein Lyriklehrer, der mir die Nachricht von meiner Auszeichnung überbracht hatte. Er sagt, das Gedicht, das ich bei der Literaturzeitschrift der Fakultät eingereicht habe, hat den ersten Preis gewonnen. Es wird veröffentlicht, ich bekomme einen Scheck über einhundert Dollar.
    Als ich für meinen M.A. arbeite, vermietet mir mein erster Lehrer für Kreatives Schreiben eine Wohnung, die im hinteren Teil seines Hauses in Oviedo liegt. Nicht weit von Orlando, aber ländlich. Ursprünglich, Apfelsinenplantagen und Sellerieanbau. Jetzt ist es einfach still. Drei morsche Treppen hoch. Jeden Tag, stundenlang, läuft Pal (Palindrome), der Dalmatiner meines Lehrers, mit klirrenden Ketten die Treppe herauf, wie Igor, eine Verdammte. Von der Treppe guckt sie in mein Fenster herein, ein Schattenhund, geht klirrend wieder nach unten.
    Das Haus ist ein hundert Jahre altes Herrenhaus, das mein Lehrer mit dem Einkommen von seinem Buch gekauft hat. Am Lake Charm. Umstanden von riesigen Eichen, Bartflechten hängen herab wie Haar. Ich mag alte Häuser, aber seins finde ich gespenstisch – als wäre man in dem Spiel CLUE , die Zimmer alle unvertraut, verwinkelt, feucht, das Haus zu groß für eine Klimaanlage. Er leiht mir ein Exemplar von
Breakfast at Tiffany’s
, schwarzer Schimmel wächst auf den Seiten.
    Mein Lehrer sagt, er wolle für ein paar Tage verreisen. Während seiner Abwesenheit darf ich nicht in sein Haus. Aber von meiner Wohnung führt eine Tür zu einer Treppe und der Küche ganz unten. »Die lasse ich unverschlossen«, sagt er. »Falls es brennt.« Er ist seit Langem von einer zierlichen blonden Balletttänzerin geschieden. Vor Jahren hatte er eine heimliche Affäre mit einer Studentin in meinem Jahrgang, auch sie eine zierliche blonde

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