Ich übe für den Himmel
mit den braunen Flecken gar nicht so schlimm. Ich finde Sie schön. Und ich finde es gut, dass Sie meine Freundin sind. Und Sie haben bestimmt auch schöne Dinge erlebt, bevor Ihnen Ihre Haut zu groß wurde.«
Frau Schröder gießt Amaretto nach und nimmt einen kräftigen Schluck.
»Außerdem können Sie uns besuchen, wann Sie wollen«, schiebe ich noch nach.
»Ich weiß das, Isha, aber ich möchte euch nicht belästigen oder zur Last fallen.«
»Das tun Sie doch gar nicht.«
»Trotzdem.«
»Sie sind ganz schön eigenwillig, finde ich. Meine Oma sagt zu Opa, dass er immer starrsinniger wird.«
»Du hast aber auch deinen eigenen Dickschädel.«
»Warum rufen Sie nicht an, wenn Sie Hilfe brauchen?«
»Weil ich mir selbst zeigen möchte, dass ich trotz meines Alters noch eine Menge allein kann.«
»Okay, aber Sie dürfen ruhig jammern.«
»Ehrlich?«
»Ehrlich. Zu Hause haben wir ein kleines Zimmer, in dem liegt eine Matratze, auf der wir jammern können, so viel wie wir wollen. Wenn wir Hilfe brauchen, sagen wir das.«
»Deine Eltern sind klug.«
»Meine Eltern sagen, dass sie von den kranken Kindern viel lernen. Und dass diese Kinder ihnen für das Leben mehr beibringen, als sie jemals in der Schule gelernt haben.«
»Deine Eltern sind mehr als klug, sie sind auch noch weise.«
»Das sagen sie von Ihnen auch.«
»Ist das wahr?« Frau Schröders Augen strahlen wieder hellblau.
»Ganz, ganz ehrlich. Wir sind froh, dass wir Sie kennengelernt haben.«
»Das gilt auch für mich. Jetzt werden wir aber sentimental. Isha, ein letztes Wort zu den Toten: Wenn du willst, kannst du sie hören. Überall und zu jeder Zeit. Du musst einfach dein Herz und deine Seele öffnen, dann kommen sie.«
Acht
Ich habe Frau Schröder überredet, bei uns Abendbrot zu essen. Sie kommt tatsächlich mit.
»Ich habe aber kein Geschenk für deine Eltern«, ruft sie erschrocken.
»Das macht gar nichts. Hauptsache, Sie kommen.«
»Aber mir macht das schon etwas aus, euch zu besuchen ohne Geschenk, das ist mir unangenehm.«
Wir stehen vor dem Hauseingang und plötzlich lächelt sie verschmitzt. »Ich habe eine Idee. Aber niemandem was davon sagen. Komm mit.«
Wie zwei Diebe schleichen wir im Schatten von alten Bäumen an der Hauswand entlang und über das Grundstück, das zu ihrem Haus gehört.
»Nebenan gibt es einen verwunschenen Garten«, flüstert Frau Schröder. Sie legt ihren rechten Zeigefinger auf den Mund und flüstert weiter:
»Ganz ruhig sein, bitte. Hier unten in unserem Haus wohnt eine Ärztin. Sie ist Anästhesistin. Die gute Dame hat eine leichte Macke: Wir im Haus sollen keinen Pieps von uns geben, so wie ihre betäubten Patienten! Eigentlich wäre sie in der Kühlkammer bei den Toten besser aufgehoben, was die ihr sagen, hört sie gar nicht. Die liegen nämlich hinter gepanzerten Türen.« Sie kichert wie ein kleines Mädchen und ich muss aufpassen, nicht laut loszulachen.
»Oje«, grinst sie, »nun habe ich doch von den Toten geredet. Schluss jetzt damit. Wir sind ja noch quicklebendig und gehen ganz schlicht klauen. Na? Was sagst du nun?« Ich bin baff. Die vornehme Frau Else Schröder und klauen? Wir gehen auf Zehenspitzen an der Wohnung von der Anädingsbumstante vorbei und haben Glück. Sie betäubt wohl gerade irgendwelche Opfer in ihrer Klinik, denn es rührt sich nichts in ihrer Wohnung oder auf den beiden Balkons. Frau Schröder öffnet ein Tor aus Maschendraht, das völlig schief in den Angeln hängt. Plötzlich stehen wir in dem Märchengarten. Rosen duften, an den Büschen im hinteren Teil hängen saftige Himbeeren und schwarze Brombeeren glänzen in der Nachmittagssonne. Frau Schröder knipst ihre kleine Handtasche auf und schwupp, hat sie eine Schere und einen Plastikbeutel in der Hand.
»Für Notfälle. Habe ich immer dabei. Heute ist ein Notfall. Diesen Garten sehe ich von meiner Terrasse aus. Da geht selten jemand hin. Ab und zu mäht ein Gärtner hier und da etwas weg, aber das war es dann auch schon. Ich weiß gar nicht, wem der gehört. Im Augenblick gehört er uns. Basta.«
Mit der kleinen Schere schneidet sie behutsam einige Rosenzweige ab. »Ich kümmere mich um die Tischdekoration, du um den Nachtisch«, sagt sie energisch und reicht mir den Beutel. Die dicken, reifen Beeren lassen sich ganz leicht von den Zweigen lösen. Ich brauche sie nur zu berühren, schon fallen sie wie von selbst in den Beutel.
»Die haben die ganze Zeit auf uns gewartet«, sage ich begeistert. Ich schicke
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