Ich und andere uncoole Dinge in New York
Tonfall, wie Rachel das gesagt hat. Meine Mutter hasst es außerdem, wenn ich sie „Mutter“ nenne, statt „Mami“. Dann lege ich auf und schalte das Handy aus. Es könnte ja leer sein. Plötzlich riecht es nach Moschus und Vanille und neben mir taucht ein riesiger Abercrombie-and-Fitch-Laden auf, der mich anzieht, als wäre er magnetisch. Ein Aufkleber, der über das Mega-Poster eines glattrasierten, nackten Männeroberkörpers geklatscht ist, verkündet einen Sale. Ich spüre, wie die „Für Notfälle“-Kreditkarte meiner Mutter in meinem Portemonnaie zusammenzuckt. Ich habe kein schlechtes Gewissen. Meine Mutter sollte eins haben, denke ich noch, und stürze in den Laden.
Als ich abends – Rachel ist immer noch bei Scirox und Benjamin kommt nie vor elf aus dem Büro – zufrieden zwischen meinen Tüten auf dem Sofa sitze und versuche herauszuschmecken, woraus der zuckerfreie, fettfreie Karamellsirup in meinem Kaffee gemacht sein könnte, klingelt das Telefon. Mit einem lauten Knacken springt der Anrufbeantworter an.
„Hey, Rachel, es ist dringend, nimm gefälligst ab, wenn du da bist …“
Das klingt wichtig. Ich durchwühle die Sofapolster, haste durch die Wohnung und erspähe das Telefon schließlich auf dem Küchentisch. Schnurlose Telefone sind ein Fluch. „Gut, dann hast du jetzt deine Chance verpasst mit ...“, fährt die Stimme auf dem Anrufbeantworter fort. Ich drücke die Annahmetaste genau im gleichen Moment, in dem mein Zeh sich in das Tischbein rammt.
„Aua, scheiße, auauauauau, tut das weh“, schreie ich auf Deutsch in den Hörer.
Nach einem kurzen Schweigen schreit der Anrufer mit einem starken, amerikanischen Akzent, aber ebenfalls auf Deutsch zurück: „Jawoll. Schneller. Ich liebe dich. Blitzkrieg.“ Und nach einer Pause fügt er hinzu: „Platz.“
Ich reibe meinen Zeh. „Platz?“
„Das hat dieser deutsche Schauspieler Til Schwäääääiger immer zu seinem Nazi-Schäferhund gesagt“, erklärt die Stimme wieder auf Englisch. Eine nette Stimme.
Meine Güte, gibt es eigentlich amerikanische Filme, in denen Til Schweiger keinen Nazi spielt?
„Hier ist Adam, Rachels Bruder. Du bist nicht Rachel“, stellt er haarscharf fest.
„Nein.“ Mein Zeh schmerzt höllisch. Wahrscheinlich gebrochen.
Schweigen.
„Hier ist Judith, die Mitbewohnerin aus Deutschland.“
„Ach so, natürlich, hat sie mir erzählt. Ich wollte sie fragen, ob wir am Samstag in Coney Island ausgehen. Richtest du ihr das aus? Das müsst ihr euch ansehen. Ist total abgefahren und es gibt da diese coole russische Bar. Meredith kommt auch mit.“ Mein kleiner Zeh steht waagerecht. Ich weiß nicht, ob das eine krankhafte neue Zehenstellung ist oder ob das schon immer so war.
„Ich sag’s ihr.“ Wie kann man eigentlich feststellen, ob ein Zeh gebrochen ist? Muss ich mal googlen.
„Komm doch auch mit“, sagt Adam.
„Ich bin schon verabredet.“
„Du verpasst was.“ Adam hat wirklich eine schöne Stimme, leiser als Rachels und vor allem weniger herrisch.
Wir verabschieden uns und legen auf. Dann drehe ich das Radio auf volle Lautstärke und ziehe die Sachen an, die ich mir gekauft habe: eine coole, mega-enge, perfekt zerfetzte Jeans, ein T-Shirt mit einem Pfau drauf, der türkis glitzert, und den kürzesten Jeansrock, den ich je besessen habe. Und natürlich das schwarze Top für Rachel, das fast zu genial ist, als dass ich mich davon trennen kann. Ich starre eine Weile in den Spiegel, der im Wohnzimmer steht, und ziehe mein Haargummi heraus. Ich bin selbst beeindruckt davon, wie ich aussehe. Definitiv besser. Ich werde als neuer, coolerer Mensch nach Hause fahren.
„Sag mal, spinnst du? Du hast ja einen Vollschaden!“
Ich habe gar nicht gemerkt, dass Rachel hereingekommen ist. Schnell lasse ich mich in die weichen Sofapolster fallen, um zu vertuschen, dass ich schon eine Stunde lang wie eine Irre vor dem Spiegel herumtanze.
„Was ist denn?“
Aus ihren Nasenlöchern scheint es zu dampfen, so sauer ist sie. „Wie kannst du Dave nur erzählen, dass ich mich nicht um dich kümmere?“
„Das habe ich nicht erzählt. Wie kommst du denn auf so einen Schwachsinn?“, fauche ich zurück.
„Und dann gehst du einkaufen, während ich deine beknackte Doku mache?“ Sie zeigt auf die Tüten, die vor dem Sofa verteilt sind.
„Ich habe für dich eingekauft“, keife ich mit einem Hauch von Märtyrertum und schleudere das schwarze Top in ihre Richtung. Dann raffe ich meine Tüten zusammen, gehe
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