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Ich und andere uncoole Dinge in New York

Ich und andere uncoole Dinge in New York

Titel: Ich und andere uncoole Dinge in New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia K. Stein
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überqueren. Ich versuche, durch die Scheibe in das Auto hineinzuspähen. Das Messer in meinem Schädel sticht mit unveränderter Heftigkeit zu. Die Fahrerkabine des Autos ist überdimensional groß. Hinter dem Steuer sitzt der dazu passende Mensch mit einem riesigen, geradezu unfassbar verformten Körper. An einem eiförmigen Kopf baumelt eine Art Beutel, der wie ein Sitzsack nach unten hängt. Es ist unmöglich zu bestimmen, ob die Gestalt Mann oder Frau darstellen soll. Solche Menschen kann nur ein Land hervorbringen, dass Donuts wie selbstverständlich im Dutzend verkauft. Der Mensch starrt mich an, ist aber völlig regungslos, als ich dankend nicke und über die Straße gehe. Dann fährt das Auto schleppend wieder an. In der Fahrerkabine ist nicht die geringste Bewegung zu erkennen. Ich schließe die Augen und halte mein Gesicht schräg in den Nieselregen. Und einen Moment denke ich einfach an gar nichts.
     
    Zu Hause setze ich mich auf das weiße Sofa im Wohnzimmer und schalte den großen, flachen Fernseher an, was ich sonst fast nie tue. Es ist erst Mittag, aber ich sehe Talkshows, Nachrichten und Serien, in denen es entweder um Vampire oder um Ärzte geht, als würde es keine andere Spezies mehr geben.
    Irgendwann steckt Rachel ihren Kopf zur Tür herein: „Na, bist du gestern mit Peter versumpft? Ich habe gar nicht gehört, dass du nach Hause gekommen bist?“ Sie zwinkert mir zu und wirkt bester Laune.
    „Und was hast du gemacht, dass du so unerträglich gut gelaunt bist?“
    „Ich hatte ein Date mit Amal!“
    „Amal?“
    „Das bedeutet Sehnsucht – ist das nicht romantisch? Du hast ihn schon mal gesehen. Er war auf Daves Finissage. Er ist scharf. Aber jetzt sag mal, wie war’s mit Peter. Ich will alle Details wissen. Habt ihr es getan?“
    „Bin ich eine Nutte oder was?“ Ich fauche Rachel mehr an, als ich eigentlich will. Und mehr, als in Anbetracht der letzen Nacht angemessen.
    „Was sind wir denn so empfindlich heute?“
    Dann klingelt ihr Telefon und sie haucht mit gespielter Überraschung und in geschulter Ich-bin-so-sexy-Stimme „Amal“ in den Hörer und geht in ihr Zimmer.
    Ich sehe einfach weiter fern, weil ich wirklich, wirklich, wirklich nicht nachdenken will, vor allem nicht darüber, dass Peter nicht anruft. Was er wohl denkt, wenn er aufwacht und meinen Zettel sieht? Ruft er nicht an, weil er enttäuscht ist? Ich spiele den Abend wieder und wieder in meinem Kopf durch, aber mir fällt eigentlich nichts auf, was ich so falsch gemacht haben könnte, dass er noch nicht einmal anruft oder eine kleine SMS schreibt. Irgendwann geht Rachel wieder und ich sehe noch ein paar Serien mit fiesen Morden, mehr Vampiren und mehr Ärzten, wobei ich eingeschlafen sein muss, denn als Nächstes schrecke ich von dem Geräusch eines einrastenden Schlüssels hoch. Benjamin.
    „Judith, altes Haus, aufregender Nachmittag vor dem Fernseher?“ Sein Hemd hängt über der Hose. Er geht fast jeden Tag ins Büro, am Wochenende allerdings revolutionär ohne Krawatte. Die Anrede „altes Haus“ verrät, dass seine sexuelle Anziehung zu mir genauso groß ist wie die zu seinen getragenen Socken. Ich versuche, darüber nicht beleidigt zu sein. Schließlich sind wir eine WG und immerhin rieche ich mit Sicherheit besser als Bens getragene Socken.
    „Du siehst gut aus“, sagt er unerwarteterweise und blickt auf meine Beine, die durch die kurze Sporthose, die ich mir übergezogen habe, nicht verdeckt werden.
    „Euer amerikanisches Fernsehen ist das Letzte. Die Nachrichtensprecherinnen reden viel zu schnell und kräuseln nie die Stirn. Die letzte Busexplosion in Israel wird im gleichen Tonfall vorgetragen wie der Name des neuen Welpen im Weißen Haus. Botox sollte bei Nachrichtensprechern verboten sein.“
    „Heyheyhey. Tut mir leid, dass ich nicht beim Fernsehen bin, um das zu ändern. Bist du deprimiert oder warum dieser Ausbruch?“
    „Nee. Wie kommst du denn darauf?“ Ich schenke ihm ein betont falsches Lächeln und hoffe insgeheim, dass er weiter fragt.
    „Dann ist ja gut.“
    Leider habe ich seine Sensibilität überschätzt und bevor ich es verhindern kann, beginnt er über sich selbst zu reden.
    „Ich brauche eine Freundin“, sagt er, ohne den Eindruck zu vermitteln, etwas Persönliches preiszugegeben. Vielleicht ist das eine amerikanische Eigenheit. Bei Scirox erzählt jeder hemmungslos von seinen Selbsthilfegruppen und Therapien, sei es für Hypochonder, Alkoholiker oder Angehörige von

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