Ich und andere uncoole Dinge in New York
sogar viel weniger herausnehmen.“
Rachel flüstert Peter etwas ins Ohr, wahrscheinlich, dass das ein Witz sein soll, aber Adam sieht nicht sonderlich amüsiert aus. Ich bin geschmeichelt. Vor einem Glasfenster mit Seepferdchen, die aus der Nähe keineswegs süß sind, sondern aussehen wie Schlangen mit aufgeblähten Bäuchen und Hautausschlag, fragt Adam plötzlich: „Findest du ihn wirklich nett?“ Er sieht mich so durchdringend an, dass ich gar nichts denken kann.
„Wen?“, frage ich, um etwas Zeit zu gewinnen.
Adam zieht eine Augenbraue nach oben und nimmt meine Frage natürlich nicht ernst. Ich habe noch nie darüber nachgedacht, ob Peter nett ist. Gut aussehendend, lustig, klug ist er, aber nett?
„Er ist ein Angeber“, stellt Adam fest.
Ich knuffe ihn in die Seite. „Bist du eifersüchtig?“ Ich versuche das, lustig zu sagen, damit es als Scherz durchgehen kann.
„Natürlich“, erwidert Adam ernst.
Wir blicken etwas betreten in das Wasserbecken vor uns. Darin ziehen Sandtigerhaie ihre Runden, die sich laut Erklärungstafel schon in der Gebärmutter gegenseitig auffressen, um sicherzustellen, dass nur das aggressivste Exemplar geboren wird.
„Du?“, fragt er dann.
Ich verstehe nicht. Er deutet mit dem Kopf zu Peter, der mit Meredith und Rachel rumalbert und sich super amüsiert.
„Sieh mal, der Hai wurde nur wegen seines Aussehens fast ausgerottet“, lenke ich ab. „Kein Wunder, oder?“ Aus dem Maul des Hais ragen gelbe, dolchförmige Zähne, die unkontrolliert in alle Richtungen wachsen. Seine Nase sieht aus wie eine Menschennase mit übergroßen Löchern und plötzlich sieht er nicht mehr gefährlich aus, sondern nur erbärmlich in seiner Hässlichkeit.
Adam zuckt mit den Achseln. „Jeder sieht, was er sehen will.“ Jetzt habe ich aber genug von seinem weisen Geschwafel. Ich kann ja nichts dafür, dass er Peter nicht mag. Zum Glück drängen sich Rachel und Peter in diesem Moment zwischen uns und wir diskutieren unsere wenig fundierten, dafür umso erfinderischeren Theorien des Darwinismus. Peter stellt sich neben mich und legt seinen Arm um meine Taille und ich versuche ein dümmliches Grinsen zu unterdrücken. Adam dreht sich weg. Wir folgen den durchdringenden Kinderstimmen zum Sea Cliff Café, um etwas zu trinken. Alle Tische sind voller fettiger Abdrücke von grabschenden Kinderhänden. Neben uns kaut eine Familie an mitgebrachten Broten und die Kinder saugen an Strohhalmen, die in gigantischen Plastikbechern mit mindestens zwei Litern Cola stecken. Der Familienvater trägt einen schwarzen Mantel und Hut. Ein Bart verdeckt sein halbes Gesicht und an seinen Ohren kringeln sich lange Locken: ein orthodoxer Jude. Der ganze Zoo wimmelt von orthodoxen Juden. Alle haben den gleichen dunkelblauen Kinderwagen und ihre Sprösslinge tragen dunkle Erwachsenenkleidung statt schriller Kindermode. Und es gibt viele Kinder. Sie sprechen ein Gemisch aus Holländisch, Deutsch und irgendetwas anderem. Es klingt, als könnte ich es verstehen, aber wenn ich genauer lausche, verstehe ich doch nur ein Kauderwelsch aus vertrauten Lauten.
„Ist das Jiddisch?“, frage ich Adam, der wieder neben mir geht, seit Peter sich entfernt hat.
Er nickt.
„In der Nähe wohnen viele orthodoxe Juden. In Crown Heights und in Williamsburg.“
„Wobei in Williamsburg auch die neuen Künstler wohnen“, wirft Rachel ein. „Ist so eine Art neues Soho.“
„Hey, Leute, jetzt macht mal ein bisschen schneller. Wir wollen doch noch zum Wasser. Außerdem ist mir wahnsinnig heiß“, drängt Meredith, während sie sich mit ihrem Cowboy-Hut Luft zufächelt. Wir haben alle genug von den Tieren, den Menschen und der Hitze und machen uns auf zum Strand. Irgendwie ist es eine echte Überraschung, als der Ozean vor uns auftaucht, obwohl ich damit natürlich hätte rechnen müssen. Deshalb sind wir schließlich gekommen. Aber das New York, in dem ich sonst bin, hat nichts mit Schiffen und Häfen zu tun, sondern mit Hochhäusern, Firmen, Einkaufsrausch, Clubs, Bars, Scirox und vor allem mit Peter. Die Freiheitsstatue und Ellis Island sind Touristen-Symbole und haben mich bisher nicht daran erinnert, dass New York eine Hafenstadt ist. In New York riecht es nie nach Meer und die Straßen erinnern allenfalls an Wasser, weil sie von den Fenstern von Scirox aus einem Fluss aus gelben Taxis ähneln, der zwischen Steilwänden aus Hochhäusern entlanggleitet. Doch jetzt liegt plötzlich ein echter Strand vor uns. Vor den
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