Ich und andere uncoole Dinge in New York
Szene mit Peter und Florence eingebildet haben, so unwirklich scheint sie. Schnell wische ich den Gedanken daran zur Seite. Adam ist gut gelaunt. Als Adam aufhört zu sprechen und mich erwartungsvoll ansieht, merke ich, dass ich nicht zugehört habe.
„Stört dich nicht, dass ich Deutsch bin?“, sage ich schnell etwas patzig. Keine Ahnung, warum ich ausgerechnet mit so einem Thema anfange. Aber es ist das erste, was mir durch den Kopf schießt, vielleicht wird mir die Harmonie zu viel.
„Dass du Deutsch bist? Ich liebe deinen Heidi-Klum-Akzent.“ Adam drückt meine Finger.
„Dass ich deutsch bin und du jüdisch.“
Er sieht mich ziemlich überrascht an und lehnt sich zurück. „Eigentlich nicht. Vielleicht denken die Deutschen da mehr drüber nach.“
„Ich denke darüber nach.“ Das hört sich jetzt an, als würde ich wesentlich mehr darüber nachdenken, als ich tue. Aber manchmal denke ich wirklich darüber nach.
„Ehrlich? Das wusste ich nicht“, sagt Adam. Er häuft Zucker auf einen Löffel und lässt ihn in den silbernen Zuckertopf herunterrieseln, erst schnell, dann langsam. „Und?“, fragt er. „Was denkst du, wenn du darüber nachdenkst?“
„In Deutschland triffst du Leute und denkst dir, ‚Das wäre ein guter Nazi geworden’. Es gibt so einen bestimmten Typus. Keine auffallend schlechten Leute. Aber was sie nicht direkt betrifft, wird ausgeblendet.“
„Konzentriere dich auf deine Ziele, lass dich nicht ablenken, you can do it. Jeder muss Dinge ausblenden, das hat doch nichts mit den Nazis zu tun.“
„Aber mit ein paar Ausnahmen wie den Leuten, die Göring oder Bormann heißen und ihre Nazi-Vergangenheit im Namen mit sich herumtragen, gibt es in Deutschland keine Nazi-Nachkommen, verstehst du?“
„Ich kann mir vorstellen, dass niemand damit hausieren geht.“
„Nein, es ist nicht so, dass die Leute ein Geheimnis haben. Alle glauben, dass ihre Urgroßeltern irgendwann einen Juden versteckt und Brot ins KZ geschmuggelt haben, irgendwann jemanden nicht angezeigt, irgendetwas zumindest nicht gemacht haben. Sie sind von der Unschuld ihrer Vorfahren fest überzeugt. Keiner meiner Freunde in Deutschland hat Urgroßeltern, die Nazis waren. Das kann doch nicht stimmen.“
„Ja, das muss seltsam sein, mit so einer Vergangenheit zu leben“, sagt Adam und sieht mich etwas hilflos an. „Sag mal, ist alles in Ordnung? Ich habe das Gefühl, du willst mir was ganz anderes sagen.“
Irgendwie ist es komisch, dass er da so wenig drüber nachdenkt. Aber er hat ja recht, in seinem Leben ist das total weit weg. In meinem eigentlich auch, aber er ist im Gegensatz zu mir nie mit Filmen dazu bombardiert worden. Ich weiß auch nicht, warum ich damit angefangen habe. „Ist das jetzt ein Date?“, platze ich heraus. Neben uns sitzt eine mit Baseballkappe und riesiger Sonnenbrille getarnte Frau, die so tut, als wäre sie ein Star oder tatsächlich einer ist.
Adam lacht. „Ich hoffe.“
„Meine Güte, wenn du das noch nicht mal weißt. Du bist doch der Amerikaner.“
„Du bist also eines dieser Mädchen, die mehrere Typen gleichzeitig daten“, sagt Adam und hypnotisiert mich mit seinen royalblauen Augen.
Ich schüttele den Kopf und kann plötzlich gar nichts mehr sagen. Ich versuche, wenigstens zu schlucken, aber auch das gelingt mir nicht, und die Tränen schießen mir aus den Augen, bevor ich irgendetwas dagegen tun kann. Unterdrücken hilft nichts. Sobald ich es versuche, strömen die Tränen nur mit unkontrollierten und ziemlich lauten Schluchzern heraus, so dass der Möchtegern-Star oder Star neben uns, der inzwischen die Sonnenbrille abgenommen hat, mir einen verwunderten Blick zuwirft.
„Judith“, sagt Adam besorgt, sodass ich noch lauter schluchzen muss. „Da habe ich wohl was Falsches gesagt. Ist es so schlimm?“ Er zieht mich zu sich heran und ich sehe nicht hoch, sondern lasse mich gegen seine Brust drücken und zum Glück hält er mich so fest, dass meine Schultern nicht mehr bei jedem Schluchzen so fürchterlich nach oben zucken.
Ich verstecke mich ganz tief, weil es ziemlich unangenehm ist, hochzugucken. Das Café Doma ist winzig und mittlerweile dürfte jeder mitbekommen haben, dass ich einen pathetischen Nervenzusammenbruch erleide. Mit einer Hand drückt Adam meine Hand. Mit der anderen streicht er beruhigend über meinen Rücken. Als ich hochschaue, sehe ich direkt in seine Augen, die mich so anschauen, dass ich am liebsten in seine Pupillen hineinkriechen möchte.
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