Ich versprach dir die Liebe: Roman (German Edition)
hätte Blythe eine Arterie getroffen. Aber das war nicht der Fall. Schuld war wohl die Kombination aus Blutverdünnern und vermutlich einer Präeklampsie, die ihr Vernichtungswerk vollbrachte.
Jemand von den Neonatologen, der nicht bemerkt hatte, dass ich danebensaß, sagte: »Wir brauchen Verstärkung. Das sieht überhaupt nicht gut aus. Macht die Infusionen fertig. Ich brauche Kochsalzlösung und …« Er redete weiter, bis ihn einer anstieß. »Pst, da sitzt der Vater.«
Blythe versenkte ihre Arme bis zum Ellbogen in Elle und zog mit sanfter Gewalt meine blau angelaufene, schlaffe Tochter heraus. Mir kam es vor wie ein Wiedersehen mit Dylan.
Die Neonatologen legten sie sofort auf die Infrarot-Wärmeeinheit und kümmerten sich um sie.
Bitte, lieber Gott, rette Hope .
Ich stand auf und ging zum Anästhesiearzt, der neben Elles Kopf saß. Ich kannte ihn, und er kannte mich. Er wandte denBlick ab. Natürlich hätte ich eigentlich nicht dabei sein dürfen, aber alle stellten sich taub und blind. Blythe operierte noch immer. Verzweifelt versuchte sie, die Blutung zu stillen. Als ob es jetzt noch einen Sinn hätte! Als ob es noch möglich wäre, meine Frau zu retten!
Ich ging neben dem Operationstisch in die Knie und legte meine Fingerspitzen an die von Elle. Elle, du sollst wissen, wie innig ich dich liebe .
»Kammerflimmern«, rief der Anästhesist Blythe zu.
»Was soll ich tun, Matt?«, fragte Blythe. »Reanimieren?«
Ich zögerte nur eine Sekunde. Ich hatte versprochen, Elle zu respektieren. »Nein, keine Reanimation«, antwortete ich. »Lassen wir ihr ihren Frieden.«
Aber im OP ging es alles andere als friedlich zu.
Im gesamten Team herrschte die einhellige Meinung, dass Hope nicht mehr zu retten war. Trotzdem bestand ich darauf, dass sie es weiter versuchen sollten. Ich hatte dieses Baby um jeden Preis gewollt, war aber nicht darauf vorbereitet gewesen, dass Elle dabei derart brutal zerschnitten wurde. Und jetzt sollte ich auch noch das Baby verlieren? Das Frühgeborenenteam tat, was in seiner Macht stand, aber Hope sah genauso aus wie Dylan, als er tot, bleich und schlaff auf die Welt kam.
»Habt ihr die Apgar-Zahl?«
»Sechs bei einer Minute. Wir sind noch nicht ganz bei fünf Minuten für den zweiten Test.«
Ein Apgar von sechs?
»Puls bei eins-sechzig.«
»Komm schon, atme«, sagte der Neonatologe leise. »Siehst du. Geht doch. So ist es besser. Viel besser. Sie kommt.«
Ich sprang auf die Füße.
»Die Haut wird rosa«, verkündete der Arzt und drehte sich halb zu mir um.
Und dann stieß meine winzig kleine Tochter einen lauten, kräftigen Schrei aus.
»Na, wer sagt’s denn?«, meinte die Krankenschwester.
Mom hatte sich durch das Team der Neonatologen gedrängt. »Matt, sie ist wunderschön!«
Ich atmete auf. Es war vielleicht der erste wirkliche Atemzug, den ich seit Monaten tat. »Ich will sie sehen.«
Der Lungenspezialist trat beiseite, und da lag sie – meine kleine Tochter, blutverschmiert, mit eindeutig rosiger Haut, und brüllte wie am Spieß.
Als ich mich wieder umdrehte, schaltete der Anästhesist gerade Elles Herzmonitor ab.
»Todeszeitpunkt: Ein Uhr dreizehn«, stellte Blythe leise fest.
Kehr ein bei mir im Traum,
auf dass ich geb mein Herz,
an deinem schlagend,
mein Atmen deinen tragend:
Sprich leise, neige dich hernieder wie einst,
wie lang ist’s her, mein Liebster!
CHRISTINA GEORGINA ROSSETTI
Epilog
Vier Monate später
I m Lauf des vergangenen Jahres wurde mir bewusst, dass es sich mit der Trauer verhält wie mit einer Flutwelle. Unerwartet erhebt sie sich aus den Tiefen meines Seins und überschwemmt mich mit den Trümmern, die sich unterwegs angesammelt haben. Manchmal wache ich auf und bin wütend darüber, dass Elle nicht besser auf sich achtgegeben hat. Noch immer geschieht es, dass ich morgens den Arm nach ihr ausstrecke und nicht wahrhaben will, dass sie für immer fort ist. Und dann liege ich da und flehe Gott an, schwöre, dass ich alles tun würde, wenn er diesen verfluchten Albtraum endlich vorübergehen ließe. Ich habe Rotz und Wasser geheult, aber ich habe auch die Liebe und Hilfe meiner Familie und meiner Freunde angenommen. Und ich habe echte Freude darüber empfunden, dass meine Tochter sich so gut entwickelt. Ich spähe in ihr Zimmer.
Seit dem Tag, als ich mein kleines Mädchen nach Hause brachte, hat sich unser Labrador Hubble zu ihrem Schutzengel ernannt. Er hebt den Kopf, als wolle er mir bestätigen, dass er treu auf seinem Posten
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