Ich versprach dir die Liebe: Roman (German Edition)
irrte? Ich wusste nicht weiter. Wie lange konnte ich den Schein noch aufrechterhalten? Eigentlich wollte ich nur noch sterben. Oder jemanden umbringen.
Ich wischte mir die Nase mit dem Handrücken ab und begann, in blinder Wut auf die Wand unter dem Waschbecken einzutreten. Immer und immer wieder.
Plötzlich durchbrach mein Fuß den Gipskarton.
Scheiße! Ich befreite meinen Fuß und tastete nach dem Lichtschalter. Scheiße!
Bei einem Versuch, die Platte wieder zurechtzubiegen, zerbröckelte sie. Ich schlich mich aus der Toilette und rannte genau in Jillian Waters, die Chefin der Krankenschwestern, die mich verblüfft anstarrte.
»Ich … äh … ich habe ein Loch in die Wand gemacht.«
Sie warf einen Blick in die Toilette und wandte sich zu mir um. »Kann man wohl sagen! Ganz ordentlich. Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Ich bemühte mich um eine ruhige Stimme, aber heraus kam nur ein Krächzen, als ich sagte: »Ja, schon.«
»Hören Sie, am besten gehen Sie ein wenig spazieren. Ich sage dem Hausmeister Bescheid. Wer für das Loch verantwortlich ist, bleibt aber vielleicht besser unter uns. Soll ich nicht vielleicht doch jemanden für Sie anrufen?«
»Nein. Nein danke.«
Ziellos lief ich durch die Krankenhausflure. Als ich die Runde zum zweiten Mal in Angriff nahm, traf ich auf halber Strecke den Zwölfjährigen, den ich am Abend vor Elles Unfall operiert hatte. Er saß im Rollstuhl. Seine Eltern schoben ihn auf mich zu.
Ich blieb stehen und setzte mein professionelles Lächeln auf. »Hallo! Vermutlich erinnerst du dich nicht an mich. Ich bin Dr. Beaulieu und habe dich operiert.«
Der Junge hob die Hand zu einem etwas verunglückten Winken.
Mrs. Nguyen hockte sich in Augenhöhe mit ihrem Sohnneben den Rollstuhl. »Dr. B. hat gesagt, dass du ein tapferer Junge bist.«
Der Junge nickte und bewegte die Lippen, aber seine Zunge schien sich um die herausgepressten Worte zu wickeln. Ich verstand nicht, was er sagen wollte.
Der Vater schüttelte mir herzlich die Hand. »Dr. Grey ist sehr zufrieden mit Marks Fortschritten. Der Sprachtherapeut will am Montag anfangen.«
»Gut, sehr gut«, lobte ich.
»Der Unfall Ihrer Frau tut uns sehr leid. Sie waren auf der Intensivstation gleich neben uns, aber Sie sahen sehr beschäftigt aus«, sagte Mrs. Nguyen.
Ich nickte. »Im Augenblick betreue ich keine Patienten, aber es freut mich, dass es dir besser geht, Mark.« Das stimmte wirklich, aber im Moment war mir einfach nicht nach Reden.
Mark winkte erneut.
Dieses Mal winkte ich zurück. »Du machst das super, Kleiner. Ich komme später noch bei dir vorbei«, versprach ich, obwohl ich eigentlich nicht die Absicht hatte, mein normales Leben wieder aufzunehmen oder Visite zu machen.
»Herr Doktor, Mark sagt, er sieht doppelt«, sagte der Vater.
Verdammt! Ich war doch nur zufällig in der Pädiatrie gelandet. Ich wollte nur noch weg. Sollte doch jemand anders sich darum kümmern! »Ich benachrichtige sofort einen Augenarzt, und wir treffen uns in ein paar Minuten in Marks Zimmer.«
Marks Zimmer war mit selbst gemalten Karten seiner jüngeren Schwester dekoriert. Smileys, lachende Sonnen und rote Gänseblümchen. Oder sollten die Blumen Sonnenhut darstellen? Elle liebte Sonnenhut.
Marks Mutter stöpselte die Infusionspumpe in den Verteiler in der Wand, während ich den Jungen untersuchte. Seltsam – Mütter taten so etwas immer. Sie beteiligten sich sofort undlernten im Handumdrehen alles, was sie über die Versorgung ihres Kindes wissen mussten.
In diesem Augenblick wurde mir klar, dass das Baby, das in Elle heranwuchs, nie eine Mutter haben würde, die solche Dinge für es tat. Das würde ich übernehmen müssen. Ich musste Vater und Mutter sein.
Marks neurologische Untersuchung fiel recht gut aus, allerdings war seine Wahrnehmungsfähigkeit wegen der Sprachschwierigkeiten schwierig zu beurteilen. Der Junge litt unter Aphasie, einer neurologisch bedingten Sprachstörung, und zwar offenbar sowohl rezeptiv als auch expressiv. Als ich ihn bat, auf seine Mutter zu zeigen, scheiterte er, und die Mutter kämpfte mit den Tränen. Vermutlich verstand er entweder das Wort »zeigen« oder das Wort »Mutter« nicht. Trotzdem wusste er anscheinend, wer sie war.
Ich ging neben dem Rollstuhl in die Knie. »Wir wissen, dass du nicht alles verstehst, aber das wird sicher bald besser.« Ich lächelte und hoffte, dass mein Tonfall und mein Lächeln ihn trösteten. Dann wandte ich mich an den Vater des Jungen. »Woher wussten
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