Ich versprach dir die Liebe: Roman (German Edition)
McClures wohnen gleich nebenan«, erinnerte mein Vater sie. »Wo siehst du da einen Unterschied?«
Hatte ich schon erwähnt, dass ich durch das Heizungsgitter in meinem Zimmer jedes Gespräch in der Küche belauschen konnte? Die Worte bedrohten mich wie ein Hornissenschwarm.
Immer noch ging ich jeden Tag nach der Schule hinüber zu Elle. Schon nach zwei Wochen war sie wieder so rank und schlank wie früher. Ich begehrte sie, doch sie entzog sich mir, weil sie fürchtete, wieder schwanger zu werden. Einmal war es schließlich schon schiefgegangen. Die Pille wollte sie nicht nehmen. Das Risiko, wie ihre Mutter an Brustkrebs zu erkranken, war ihr zu hoch. Unsere körperliche und emotionale Nähe nahm in dem Maß ab, wie Elle durch den Zustand ihrer Mutter abgelenkt wurde.
»Lass sie gehen, Daddy«, bettelte Elle immer wieder. »Wir brauchen nur die künstliche Ernährung zu unterbrechen. Wenn Mommy nicht diesen Schlauch in der Nase hätte, hättesie längst Frieden gefunden. Schau sie dir doch an. Bitte! Sie hat Schmerzen! Kann man ihr nicht wenigstens mehr Medikamente geben?«
Sie flehte die Schwestern an, und sie flehte ihren Vater an. Aber selbst wenn Hank zu Hause war, ließ er sich so volllaufen, dass er nicht wahrnahm, was wir alle sahen. Ich nehme zumindest an, dass es daran lag.
Eines Tages, als die Schwester auf eine Zigarettenlänge vor die Tür ging, versuchte Elle, den Medikamentenbehälter aufzubrechen. Die Schwester kam zurück und drohte, die Polizei zu rufen. Vielleicht bemerkte sie zu diesem Zeitpunkt, dass es in der Familie drunter und drüber ging.
»Was wolltest du tun?«, schrie ich hinter ihr her, als sie an mir vorbeistürmte.
»Ihr ausreichend Schmerzmittel einflößen. Was hier geschieht, ist einfach nur schrecklich. Schlimmer als Folter. Warum lässt er sie nicht sterben? Warum machen die Ärzte diesem Elend kein Ende? Mein Dad säuft sich bewusstlos, aber Mom lässt er leiden.«
»Was sollen die Ärzte denn tun? Sterbehilfe leisten?«
Elle sah mich an. »Hältst du das wirklich für so abwegig? Wenn ich an Moms Stelle wäre, würde ich unbedingt sterben wollen.«
Ich erkannte sie kaum wieder. Ihre Blicke huschten so unstet herum, als wäre sie in einem brennenden Zimmer gefangen.
»Ich muss für meine Zwischenprüfung lernen«, sagte ich und ging. Ich wollte auf keinen Fall mitschuldig werden.
Eine Woche verging. Hank verschwand für drei Tage.
Und genau da geschah es. Elle hatte mir nicht einmal gesagt, dass er wieder einmal verschwunden war. Wir redeten nicht mehr miteinander. Ich erfuhr es erst, als ich aus der Schule kam. Meine Mutter hatte einen Zettel auf den Tisch gelegt.
Wir haben Hank gefunden. Dad bringt ihn an einen Ort, wo er ausnüchtern kann. Die Schwester von der Palliativpflege hat das Jugendamt informiert. Ich bin unterwegs nach Portland und versuche zu erreichen, dass Elle und Christopher nicht auf Pflegestellen kommen.
Ich sprang über den Zaun.
Die Schwester öffnete mir die Tür. »Mir blieb keine andere Wahl. Ich bin rechtlich verpflichtet, Vernachlässigung und Missbrauch zu melden. Deine Familie hat sich zwar wirklich liebevoll um die Kinder gekümmert, aber hier herrscht doch nur noch ein großes Durcheinander.«
Hinter der Schwester lag Alice wie ein Skelett auf ihrem Lager. Das Atmen schien ihr sehr schwer zu fallen.
»Ich habe dem Jugendamt nichts von Elles Schwangerschaft erzählt«, fuhr die Schwester fort. »Wenn deine Eltern die Betreuung für Elle und Christopher bekommen, werde ich den Sozialarbeitern sagen, dass ich das für sehr gut halte. Deine Eltern scheinen die Kinder wirklich gern zu haben. Aber Matt, du und Elle, ihr dürft keine Schwierigkeiten mehr machen. Wenn da noch einmal etwas passiert oder wenn irgendwer die Wahrheit herausfindet, landen Elle und Christopher in Pflegefamilien.«
»Schon gut«, sagte ich, »Elle lässt mich nicht einmal mehr in ihre Nähe.«
Und wie es so ist, wenn eine schon einmal schwanger gewordene Minderjährige und ein lüsterner Abiturient aufeinandertreffen – Elle und ich gerieten in eine Sackgasse. Mein Vater drohte mir damit, nicht für die Uni aufzukommen, meine Mutter drohte mir mit Kastration. Elle zuckte zurück, wenn ich sie auch nur flüchtig zu berühren versuchte. Und Alices Zustand blieb unverändert. Tage um Tage vergingen, aber sie starb nicht. Ich fürchtete schon, sie würde niemals sterben.
Mom kam gegen zehn Uhr abends zurück und brachte Elle und Christopher mit. Elles Gesicht
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