Ich versprach dir die Liebe: Roman (German Edition)
Dadurch, dass sie ins All geflogen ist, hat sie die Fantasie der Menschen beflügelt. Man möchte eben gern an Helden glauben. Aber vielleicht auch, weil niemand gegen seinen Willen am Leben erhalten werden möchte.«
Wütend sah ich sie an.
»Die Leute haben Angst vor der Vorstellung, als lebende Leiche nur noch vor sich hin zu vegetieren«, fuhr sie fort. »Tut mir leid, aber angesichts deines Berufs müsstest du das eigentlich wissen.«
»Im Koma zu liegen heißt nicht, dass man eine lebende Leiche ist – und das müsstest wiederum du wissen. Elles Gehirn ist verletzt. Sehr schwer sogar. Trotzdem ist und bleibt sie ein menschliches Wesen. Sie ist keine Leiche.« Ich streckte meine Hand aus. Mom griff danach, aber ich schüttelte sie ab. »Ich will meinen Schlüssel zurück.«
»Matthew, es tut mir leid.« Meine Mutter rieb sich die Stirn. »Ich dachte, dass du inzwischen etwas klarer siehst. Ich muss mir einen Anwalt nehmen, aber das hat noch Zeit bis nächsten Freitag. Wir haben entgegengesetzte Ansichten, aber bitte, versteh mich doch.«
»Was soll ich verstehen? Was, verdammt nochmal? Dass du nicht einmal in Erwägung ziehst, dass ich recht haben könnte?«
»Sie hatte solche Angst davor, wie Alice zu sterben.«
»Es ist nicht dasselbe. Alice hatte ständig Schmerzen. Elle fühlt nichts. Elle ist schwanger, Alice war es nicht. Und selbst wenn Elle Schmerzen hätte, hätte sie sich für das Baby geopfert.«
»Woher willst du wissen, dass sie keine Schmerzen hat? Als Alice so krank war, behaupteten die Ärzte auch, sie läge im Koma und wäre daher schmerzfrei. Wir wissen beide, dass das nicht stimmte. Wer sagt dir, dass Elle nicht auf einem ganz bestimmten Level Schmerzen empfindet? Sie kann doch nicht auf sich aufmerksam machen. Wenn nun ihr Kopf quälend weh täte? Auf irgendeiner urtümlichen Ebene? Wenn sie nun in diesem Schmerz gefangen wäre?«
Ich hatte einen so dicken Kloß im Hals, dass ich kaum sprechen konnte. »Ich habe ihr EEG gesehen. Die Hirnaktivität ist gleich Null, Mom. Sie ist nicht mehr da.«
Meine Mutter blickte mich stumm an. Möglicherweise wurde auch sie sich der Leere bewusst, die Elle hinterlassen hatte. Schließlich stand sie auf, ging zur Tür und kramte den Schlüssel aus ihrer Handtasche, die dort am Haken hing. »Du scheinst völlig blind zu sein gegenüber dem, was du Elle antust. Und dir selbst.« Sie legte den Schlüssel auf die Arbeitsplatte. »Das macht mir Angst.«
17
Tag 6
D ie meisten Menschen bemühen sich zwar, Opfer von Tragödien nicht anzustarren, aber sie tun es doch. Sie betrachten einen gebrochenen Arm und überlegen, wie es dazu kommen konnte. Sie können den Blick nicht von fehlenden Beinen wenden. Und sie starrten auch mich an, als ich in der Cafeteria anstand. Aber ich brauchte Koffein ungefähr so nötig wie Luft zum Atmen.
Mein Handy meldete sich. Nach kurzem Eingangsgeplänkel kam Jake schnell zur Sache. Hatte ich nach den Papieren und Elles Testament gesucht?
Angesichts meiner Erschöpfung und innerlich beschäftigt mit Moms unerwartetem Besuch, hatte ich an meinem einzigen Abend zu Hause nach gar nichts gesucht.
»Unser letztes Gespräch liegt zwei Tage zurück, Matt. Wir müssen uns auf die Anhörung vorbereiten.«
In der Mittagszeit ließ ich Elle in Hanks Obhut zurück und ging zur Bank, wo wir unsere Testamente, Geburtsurkunden, allerlei Papiere und Unterlagen für die Sozialversicherung in einem Safe deponiert hatten. Unnützer Krempel. Nichts war sicher – schon gar nicht unser Leben.
Ich hatte nie die Absicht gehabt, ein Testament zu machen. Elle war es, die mich auf die unliebsame Tatsache hinwies, dass wir beide eines Tages sterben müssten. Ich kannte den Tod in allen möglichen Schattierungen und wusste um seine Unvermeidbarkeit. Sich jedoch darauf vorzubereiten erforderteeinen gewissen Mut, und ich war noch nie wirklich beherzt gewesen.
Elle hatte Courage. Wer hätte schon gewagt, weniger als ein Jahr nach der Katastrophe mit der Columbia ein Spaceshuttle zu besteigen? Elle graute davor. Sie freute sich, aber sie hatte entsetzliche Angst. Und sie tat es.
Später erzählte sie mir, dass sie, während man sie in der Atlantis anschnallte, plötzlich daran dachte, dass sie möglicherweise unter einem Fluch stünde, und nur hoffte, dass die anderen an Bord nicht mit ihr sterben müssten. »Ich weiß, es klingt blöd«, sagte sie. »Wehe, du lachst mich aus, aber in sechs Generationen wurde keine Frau in meiner Familie
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