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Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Titel: Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Oder man mischt die Reste vom Vortag zusammen und erhitzt sie kurz in der Pfanne – schmeckt nicht gerade umwerfend. Oder es gibt Toast mit Butter und Marmelade.
    Zum Mittagessen gibt es keine Suppe, nur einen Hauptgang und Nachtisch. Fleisch ist meistens sehr fett. Gemüse oder Salat und massenhaft Kartoffeln. Viel zu lange in Wasser gekocht und ohne Sauce serviert.
    Gekochter Salat schmeckt scheußlich!
    Kopfsalat wird nur gekocht und dann serviert.
    Außerdem tunken die Leute die Salatblätter in Salz und essen sie mit der Hand. Viele Zwiebeln.
    Desserts enthalten meistens Brot. Schmeckt nicht doll, nur die Vanillesoße, die es dazu gibt, die mag ich. Die Kuchen sind meist mit Kompott und sehr gut.
    Schnell noch mehr Einzelheiten aus meinem Leben hier:
    Aufstehen um Viertel nach acht. Frühstück um neun.
    Ich trinke drei Tassen Tee am Tag, die erste zum Frühstück.
    Unsere Straße ist eine Sackgasse, und am Ende gibt es einen Cricketplatz, und dahinter kann man in einem See schwimmen gehen.
    Gestern war Mrs Rix wegen meiner Schule in Cambridge. Ich wäre gern in die beste Schule gegangen, aber Mrs Rix hat gesagt, die wäre zu teuer.
    Das Dienstmädchen hier ist sehr nett. Mrs Rix ist sehr musikalisch. Das Wetter ist besser als am Anfang.
    Ich hoffe, Ihr hattet schönes Wetter an Großmutters Geburtstag! Ich habe an sie gedacht.
    Im Zimmer der Kinder steht eine Tischtennisplatte. Gestern habe ich mit dem Dienstmädchen Clock Golf gespielt, ein Golfspiel in einem Kreis mit nur einem Loch. Am Abend kommen manchmal Frauen und spielen Tennis.
    Heute kochen wir Erdbeeren ein, für Marmelade.
    Jeden Tag bringe ich Mrs Rix ein paar Worte Deutsch bei. »Guten Morgen« und solche einfachen Sachen. Mrs Rix trinkt etwa sechs Tassen Tee pro Tag.
    Es gibt ein Telefon und ein Radio, aber die werden nur ganz selten benutzt.
    Die Glasveranda, auf der ich gerade sitze, ist ein Traum.
    In jedem Zimmer liegt ein Teppich auf dem Boden und die Toilette ist nicht im Badezimmer. Und sogar im Badezimmer gibt es einen Teppich!
    Die Möbelstücke sind klein und zierlich. Ich glaube, die Engländer leben gern in kleinen Häusern mit einem großen Garten.
    Ich schreibe Euch ganz bald wieder!
    Eure Marion
    15. Juli 1939
    Liebste Mama, liebster Papa,
    stellt Euch vor: Lottes Eltern hatten mir eine Zugfahrkarte geschickt, damit ich für einen Tag nach London kommen konnte. Ist das nicht sehr, sehr nett von ihnen? Zum Glück wollte auch Phyllis, das Dienstmädchen, für einen Tag nach London fahren, und da konnte sie mich mitnehmen.
    Als wir am Bahnhof Liverpool Street ankamen (der Zug fährt von Great Shelford aus direkt dorthin), war Lotte noch nicht da, und darüber war ich ganz froh, weil ich nicht gewusst hätte, wie ich ihr und ihren Eltern Phyllis hätte vorstellen sollen.
    Und kaum war Phyllis ein paar Minuten fort, kamen Lotte und ihre Mutter.
    Ich fand es ein bisschen schade, dass ich ihren Vater nicht gesehen habe, aber eigentlich war ich auch ganz froh, weil ich gar nicht gewusst hätte, was ich zu ihm sagen soll.
    Nach dem, was er mitgemacht hat …
    Ich konnte kaum glauben, wie groß Lotte geworden ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben!
    Ihre Mutter ist mit uns zum Buckingham-Palast gegangen, wo der König wohnt.
    Und auf einmal ertönte laute Musik, weil Wachablösung war, und die Soldaten sahen sehr prachtvoll aus mit ihrer Bärenfellmütze und der schwarzroten Uniform.
    Ich hoffe so sehr, dass ich Euch das bald zeigen kann, liebe Eltern!
    Als die königliche Wache davonschritt, hat Lotte mich an der Hand genommen und ist mit mir auf das Victoria-Monument gelaufen und dann wieder herunter, dann wieder hinauf, und wir haben die ganze Zeit gelacht.
    »One man went to mow, one man went to mow a meadow«, trällerte ich das Lied von dem Mann, der eine Wiese mäht, und Lotte hat mitgesungen.
    Als wir das Lied durch hatten, wechselte sie zu »On the good ship Lollipop«, und ich musste an das Bild von Shirley Temple denken, das Ihr mir zum letzten Geburtstag geschenkt habt.
    Was habt Ihr nach unserem Umzug damit gemacht?
    »Mach dir keine Sorgen um materielle Güter, Marion, es lohnt sich nicht«, höre ich Dich noch sagen, Mama.
    Deshalb habe ich das Bild von Shirley Temple schnell wieder aus dem Kopf verdrängt, und auch die Gedanken an die Villa Marion, meine Püppchen, die darin wohnen, und Hansi und … ich könnte die Liste noch länger machen, sie nimmt kein Ende, aber es nützt ja nichts.
    Und ich nehme mir vor,

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