Ich war Hitlerjunge Salomon
und kam nicht auf die Idee,
mich in Sicherheit zu bringen. Heinz sah die Gefahr, in der
ich schwebte. Mit einem Satz warf er sich auf mich und zog
mich gewaltsam unter einen neben einem hohen Gebäude
stehenden Panzer. Unter ihm lagen bereits die Panzerfahrer
in ihren rußgeschwärzten Uniformen. Wir schoben sie ein
wenig beiseite, um noch Platz zu finden. Die Luft war voller
Rauch und beißendem Brandgeruch.
Wenige Minuten später wurde Heinz zur Versorgung der
Verwundeten gerufen. Bevor er ins Freie trat, befahl er mir,
mich nicht von der Stelle zu rühren. Ich schaute ihm nach,
wie er gebeugt zu den Verwundeten lief. Plötzlich ein ent-
setzlicher Knall und ein gleißender Lichtstrahl. Ich drückte
mein Gesicht an die Erde, bedeckte meinen Kopf mit den
Armen. Schreie zerrissen die Luft. Ich hob den Kopf und
sah, nicht weit von mir, Heinz auf dem Rücken liegen, das
Gesicht blutüberströmt. Ich kroch zu ihm und nahm ihn
in die Arme. Jemand versuchte, die tiefe Wunde an seinem
Hals zu schließen und die Arterie zuzuhalten, aus der das
Blut sprudelte. Vergeblich. Seine weit aufgerissenen Augen
starrten in die meinen, und er murmelte etwas, was ich
nicht verstehen konnte. Er verlor das Bewußtsein und starb
in meinen Armen. Wollte er mir Adieu sagen oder sich
für die sexuellen Belästigungen entschuldigen? Ich werde
es niemals erfahren. Aber ich hatte ihm ja ohnehin schon
verziehen, und bis zu meinem letzten Tag werde ich seiner
voller Hochachtung gedenken.
Heinz’ Tod ließ mich verwaist zurück. Von neuem fühlte
ich mich bitter einsam. Ich hatte meinen einzigen Verbün-
deten verloren. Mit diesem jähen Tod gingen auch Hoffnung
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und moralischer Beistand dahin, die ich doch so dringend
brauchte. Uns hatte ein Geheimnis verbunden, und unsere
Beziehung war von absolutem Vertrauen geprägt gewesen. Das
al es hatte er mit ins Grab genommen. Ich konnte Heinz’ Tod
nicht verschmerzen. Ich hatt’ einen Kameraden …
Viele Soldaten wurden verletzt, andere waren gefallen, und
ein großer Teil des Materials war zerstört. Kaum eine Stunde
nach Beginn des Angriffs wurde der Befehl »Alles zurück in
die Fahrzeuge!« gegeben.
Der Rückzug. Zum ersten Mal sahen sich die stolzen Er-
oberer zum Rückzug gezwungen. Niemand legte mehr Wert
auf äußere Erscheinung, Disziplin oder einen obersten Knopf,
der geschlossen sein mußte. Alles rannte durcheinander, suchte
zusammen, was an Ausrüstung liegengeblieben war und lud
es auf.
Dann setzte Hals über Kopf die Flucht vor den Kanonen
ein. Ohne nachzudenken, beschloß ich, jetzt zu fliehen. Ich
wollte warten, bis der letzte Soldat außer Sichtweite war, und
dann gemütlich mit erhobenen Armen zu den vorrückenden
Russen überlaufen. Das Herz schlug mir bis zum Hals an-
gesichts der Möglichkeit, die sich mir da bot. Doch wieder
einmal hatte es das Schicksal anders vorgesehen …
Ich versteckte mich in einer Baracke, hoffend, daß meine
Abwesenheit in dem al gemeinen Durcheinander nicht auffal e.
Durch die Astlöcher in der Barackenwand beobachtete ich das
Chaos, in dem sich der Abzug der Kolonnen vollzog. Man
machte den Kommandowagen Hauptmann von Münchows
zur Abfahrt fertig. Plötzlich schrie mir der Gefreite Gerlach
zu: »Los komm, Jupp, schnell! Jetzt ist doch keine Zeit zum
Scheißen!« Mich länger verborgen zu halten oder zu fliehen,
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war nicht möglich, mehrere Augenpaare hatten sich mir be-
reits zugewandt. Also ging ich hinaus und machte mich an
meinem Hosenschlitz und an meinem Gürtel zu schaffen, als
hätte ich soeben ein dringendes Bedürfnis verrichtet. Man
warf mir einen Stahlhelm zu, und als ich im Wagen des
Hauptmanns saß, hielt mir dieser meinen Leichtsinn vor und
fügte hinzu, daß man mich streng bestraft hätte, wäre ich
Soldat gewesen. Aber ein unmerkliches Lächeln bedeutete mir,
diese Verwarnung nicht allzu ernst zu nehmen.
Al meine Fluchtversuche waren bisher gescheitert. Sie waren
überhall hinter mir her, in Peine, in Lodz, in Grodno, beim
Aufspüren des russischen Senders und jetzt in Schlüsselburg.
Nun gut. Ich verlor die Hoffnung trotzdem nicht …
Leningrad wurde nicht eingenommen. Die Bürger der Stadt,
die Soldaten und die Verteidiger verdienen unsere uneinge-
schränkte Bewunderung.
Unsere Einheit wurde in ein Nachbarland verlegt: nach
Estland. Dort sollten wir wieder zu Kräften kommen, sollten
die gelichteten Reihen wieder aufgefüllt und die
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