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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Perel
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recht begriffen hatte, was vorging,
    wurde ich heftig von hinten umarmt. Ich spürte, wie sich ein
    nackter Körper an mich preßte. Ich erstarrte. In meinem Ge-
    hirn schrillten tausend Alarmglocken. Als das erigierte Glied
    in mich eindringen wollte, machte ich einen Satz, als hätte
    mich eine Schlange gebissen. Es wäre klüger gewesen, so ste-
    henzubleiben, den Rücken zu zeigen, doch instinktiv hatte ich
    mich aus der Umarmung gelöst. Mit einem Sprung war ich
    aus dem Zuber und drehte mich, nackt wie ich war, herum.
    Vor mir stand Heinz Kelzenberg, der Arzt in spe. Sein
    Gesicht war dunkelrot angelaufen, es spiegelte Verwirrung
    und die Enttäuschung darüber wider, sein brennendes Be-
    gehren nicht stillen zu können. Er lächelte gezwungen. Tiefe
    Stille herrschte im Raum. Minutenlang standen wir uns so
    gegenüber, nackt wie am ersten Tag.
    Was geschehen mußte, geschah. Sein Blick glitt an mei-
    nem Körper abwärts und blieb auf der Höhe des Geschlechts
    hängen. Er stutzte, und verblüfft fragte er mich: »Bist du
    Jude, Jupp?« Eine tödliche Angst lähmte mich. Ich murmelte:
    »Mama, Papa, kommt, helft mir!« Ich brach in Tränen aus:
    »Bring mich nicht um! Ich bin jung und will leben!«
    Die Bilder von den Greueln, die ich seit einigen Tagen
    mitansehen mußte, überstürzten sich in meinem Kopf. Wir
    hatten uns in einem kleinen russischen Dorf befunden. Die
    Männer der Feldgendarmerie, die zu unserer Einheit gesto-
    ßen waren, befahlen den Dörflerinnen, alle Katzen in einem
    verlassenen Haus einzusperren. Und dann begann das Ge-
    metzel. Niemals werde ich vergessen, mit welch sadistischer
    Lust sie durch die halbgeöffneten Fenster auf die armen Tiere
    schossen. Die Katzen versuchten, den pfeifenden Kugeln zu
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    entkommen, flüchteten sich in die hintersten Winkel, machten
    riesige Sprünge und miauten grauenhaft, bis Todesstille eintrat.
    Nun stand ich nackt und wehrlos vor einem deutschen
    Offizier, war ein Spielball in den Klauen einer gigantischen
    Vernichtungsmaschinerie und wartete auf das Todesurteil, das
    vielleicht mit einem Revolver vollstreckt werden würde, wie
    bei den Katzen. Und wenn er mich nicht auf der Stelle er-
    schoß, würde er mich eben diesen Feldgendarmen ausliefern.
    Sie hatten Routine darin, verdächtigen Bürgern die Kleider
    vom Leib zu reißen und den Männern ein Schild mit der
    Aufschrift »Ich war Partisan« um den Hals zu hängen und
    den Frauen den Satz »Ich bin ein Flintenweib« an die Brust
    zu heften. Danach knüpften sie sie auf Marktplätzen oder
    an den am Straßenrand aufgestellten Galgen auf. Das sollte
    die Bevölkerung abschrecken, sollte verhindern, daß sie sich
    den Partisanen anschloß, die sich trotz der Anwesenheit der
    Deutschen zu organisieren begonnen hatten.
    Beim Schreiben fallen mir wieder die Überlegungen ein,
    die dem Tod vorausgehen, all die Minuten, die ich für meine
    letzten hielt … Meine Hand zittert, und ich muß die Feder
    niederlegen, um mich zu beruhigen.
    Heinz näherte sich mir, umarmte mich zart, zog meinen
    Kopf an seine Brust und sagte sanft: »Weine nicht, Jupp, man
    darf dich draußen nicht hören! Ich tue dir nichts und verrate
    auch dein Geheimnis den andern nicht. Weißt du, es gibt
    noch ein anderes Deutschland!«
    Bevor Heinz den Raum verließ, mußte ich ihm versprechen,
    mich niemandem zu offenbaren, vor allem nicht meinem ›zu-
    künftigen Vater‹, Hauptmann von Münchow.
    Ich beendete mein Bad, trocknete meine Tränen und verließ
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    gestärkt die Küche. Ich hatte einen Sieg über das Böse da-
    vongetragen. Meine Vereinsamung und tiefe Not waren nun
    bei einem wahren Freund aufgehoben. Er hatte mir die Hand
    gereicht, als ich den Rest Vertrauen in die Menschheit verlieren
    wollte, und ich entdeckte erstaunt, daß nicht alle, die mich
    umgaben, potentielle Mörder sein mußten. Und ich begriff,
    daß nicht alle Soldaten überzeugte Nazis sein mußten.
    Weitab von den anderen setzte ich mich später mit Heinz
    unter einen Baum und löste ihm das Rätsel. Ich erzählte ihm
    alles von Anfang an, sprach von meiner Familie und unserer
    Vertreibung aus Peine, kurz: verheimlichte ihm nichts von dem,
    was mir bisher widerfahren war. Er hörte sich mitfühlend mein
    tragisches Schicksal an. Ich war sechzehn, er dreißig Jahre alt,
    und meine Einsamkeit rührte ihn tief. Die sexuellen Belästi-
    gungen hörten auf, und es entstand eine echte und herzliche
    Freundschaft. Er versprach mir, mich nach dem Krieg

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