Ich war Hitlerjunge Salomon
recht begriffen hatte, was vorging,
wurde ich heftig von hinten umarmt. Ich spürte, wie sich ein
nackter Körper an mich preßte. Ich erstarrte. In meinem Ge-
hirn schrillten tausend Alarmglocken. Als das erigierte Glied
in mich eindringen wollte, machte ich einen Satz, als hätte
mich eine Schlange gebissen. Es wäre klüger gewesen, so ste-
henzubleiben, den Rücken zu zeigen, doch instinktiv hatte ich
mich aus der Umarmung gelöst. Mit einem Sprung war ich
aus dem Zuber und drehte mich, nackt wie ich war, herum.
Vor mir stand Heinz Kelzenberg, der Arzt in spe. Sein
Gesicht war dunkelrot angelaufen, es spiegelte Verwirrung
und die Enttäuschung darüber wider, sein brennendes Be-
gehren nicht stillen zu können. Er lächelte gezwungen. Tiefe
Stille herrschte im Raum. Minutenlang standen wir uns so
gegenüber, nackt wie am ersten Tag.
Was geschehen mußte, geschah. Sein Blick glitt an mei-
nem Körper abwärts und blieb auf der Höhe des Geschlechts
hängen. Er stutzte, und verblüfft fragte er mich: »Bist du
Jude, Jupp?« Eine tödliche Angst lähmte mich. Ich murmelte:
»Mama, Papa, kommt, helft mir!« Ich brach in Tränen aus:
»Bring mich nicht um! Ich bin jung und will leben!«
Die Bilder von den Greueln, die ich seit einigen Tagen
mitansehen mußte, überstürzten sich in meinem Kopf. Wir
hatten uns in einem kleinen russischen Dorf befunden. Die
Männer der Feldgendarmerie, die zu unserer Einheit gesto-
ßen waren, befahlen den Dörflerinnen, alle Katzen in einem
verlassenen Haus einzusperren. Und dann begann das Ge-
metzel. Niemals werde ich vergessen, mit welch sadistischer
Lust sie durch die halbgeöffneten Fenster auf die armen Tiere
schossen. Die Katzen versuchten, den pfeifenden Kugeln zu
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entkommen, flüchteten sich in die hintersten Winkel, machten
riesige Sprünge und miauten grauenhaft, bis Todesstille eintrat.
Nun stand ich nackt und wehrlos vor einem deutschen
Offizier, war ein Spielball in den Klauen einer gigantischen
Vernichtungsmaschinerie und wartete auf das Todesurteil, das
vielleicht mit einem Revolver vollstreckt werden würde, wie
bei den Katzen. Und wenn er mich nicht auf der Stelle er-
schoß, würde er mich eben diesen Feldgendarmen ausliefern.
Sie hatten Routine darin, verdächtigen Bürgern die Kleider
vom Leib zu reißen und den Männern ein Schild mit der
Aufschrift »Ich war Partisan« um den Hals zu hängen und
den Frauen den Satz »Ich bin ein Flintenweib« an die Brust
zu heften. Danach knüpften sie sie auf Marktplätzen oder
an den am Straßenrand aufgestellten Galgen auf. Das sollte
die Bevölkerung abschrecken, sollte verhindern, daß sie sich
den Partisanen anschloß, die sich trotz der Anwesenheit der
Deutschen zu organisieren begonnen hatten.
Beim Schreiben fallen mir wieder die Überlegungen ein,
die dem Tod vorausgehen, all die Minuten, die ich für meine
letzten hielt … Meine Hand zittert, und ich muß die Feder
niederlegen, um mich zu beruhigen.
Heinz näherte sich mir, umarmte mich zart, zog meinen
Kopf an seine Brust und sagte sanft: »Weine nicht, Jupp, man
darf dich draußen nicht hören! Ich tue dir nichts und verrate
auch dein Geheimnis den andern nicht. Weißt du, es gibt
noch ein anderes Deutschland!«
Bevor Heinz den Raum verließ, mußte ich ihm versprechen,
mich niemandem zu offenbaren, vor allem nicht meinem ›zu-
künftigen Vater‹, Hauptmann von Münchow.
Ich beendete mein Bad, trocknete meine Tränen und verließ
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gestärkt die Küche. Ich hatte einen Sieg über das Böse da-
vongetragen. Meine Vereinsamung und tiefe Not waren nun
bei einem wahren Freund aufgehoben. Er hatte mir die Hand
gereicht, als ich den Rest Vertrauen in die Menschheit verlieren
wollte, und ich entdeckte erstaunt, daß nicht alle, die mich
umgaben, potentielle Mörder sein mußten. Und ich begriff,
daß nicht alle Soldaten überzeugte Nazis sein mußten.
Weitab von den anderen setzte ich mich später mit Heinz
unter einen Baum und löste ihm das Rätsel. Ich erzählte ihm
alles von Anfang an, sprach von meiner Familie und unserer
Vertreibung aus Peine, kurz: verheimlichte ihm nichts von dem,
was mir bisher widerfahren war. Er hörte sich mitfühlend mein
tragisches Schicksal an. Ich war sechzehn, er dreißig Jahre alt,
und meine Einsamkeit rührte ihn tief. Die sexuellen Belästi-
gungen hörten auf, und es entstand eine echte und herzliche
Freundschaft. Er versprach mir, mich nach dem Krieg
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