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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Perel
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wahrscheinlich wieder heraus, aber auf meinem letzten
    Weg.
    Ich hatte einfach nicht das Recht, krank zu werden. Mühelos
    fand ich Fräulein Köchys Büro und meldete mich bei ihr. Sie
    war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, Brillenträgerin, wirkte
    sympathisch, aber fast häßlich und völlig unweiblich. Später
    nannte auch ich sie bei ihrem Spitznamen, das »Bügelbrett«.
    Ihr Lächeln und ihre Liebenswürdigkeit gefielen mir aber auf
    der Stelle. Ich mochte sie auf den ersten Blick. Noch heute
    verbinden uns Zuneigung und Freundschaft, und wir haben
    uns mehrmals getroffen. Sie ist noch immer ledig und scheint
    heute schöner zu sein als in ihrer Jugend. Sie bat mich, Platz
    zu nehmen, und ich freute mich, aus ihrem Munde zu hören,
    daß meine jüngste Vergangenheit in der Wehrmacht Eindruck
    auf sie gemacht habe. Ihre herzlichen Worte beruhigten mich
    und schmeichelten mir.
    Über den Grund meiner Anwesenheit freute ich mich weni-
    ger. Ich hatte noch einige persönliche Angaben zu meiner Akte
    und zu den psychologischen und technischen Tests zu machen,
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    die ich ablegen sollte. Ich hatte schon von den Werkstätten
    gehört, wußte aber nicht, was man dort tat. Fräulein Köchy
    gab mir eine befriedigende Erklärung. Die im Hitlerschen
    Geist stehende Schule wage das erste Experiment dieser Art in
    Deutschland. Sie verbinde politischen und naturwissenschaft-
    lichen Unterricht mit technischer Arbeit in der Produktion,
    die im benachbarten Volkswagenwerk gelehrt werde.
    Ich beherrschte schon meisterlich die Kunst, meinem Pri-
    vatleben ständig »neue« Einzelheiten hinzuzufügen, daher
    verlangte mir dieses Verhör keine besondere Anstrengung ab.
    Die folgende Frage aber sauste wie ein Keulenschlag auf mich
    nieder: »Name und Abstammung der Eltern?« Obwohl mir die
    Frage bereits vom gewissenhaften Hauptmann gestel t worden
    war und ich damals wie aus der Pistole geschossen geantwortet
    hatte, wurde ich einen Augenblick unsicher und errötete. Die
    Frage hatte jäh die dicken Schalen durchstoßen, hinter denen
    ich mich verschanzt hatte, und im Handumdrehen meinen
    schrecklichen Schmerz aufbrechen lassen. Ohne die Lippen
    zu bewegen, murmelte ich: »Mama … Papa … wo seid ihr?«
    Bittere Tränen stiegen in mir auf. »Ich bedauere, ich kann
    Ihre Frage nicht beantworten. Ich bin schon in frühester Ju-
    gend im Waisenhaus abgegeben worden. Meine Eltern habe
    ich nie zu Gesicht bekommen … Ich bin allein.« Ihre Miene
    zeigte unverholenes Mitleid, und sie trug diese Angaben in
    meine Akte ein.
    Wieder einmal staunte ich, daß falsche Auskünfte arglos
    und ohne Überprüfung einfach hingenommen und niederge-
    schrieben wurden. Keiner der peinlich genauen Beamten der
    verschiedenen Polizeidienststellen, der Gestapo oder Inneren
    Sicherheit hatte sich die Mühe gemacht, meinen Angaben auf
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    dem Standesamt von Grodno nachzugehen. Ihr Vertrauen
    in mich bleibt mir ein Rätsel. Haben diejenigen recht, die
    glauben, daß alles in einem Menschenleben von Anbeginn
    geschrieben steht?
    Die sympathische Sekretärin bemerkte meine Verwirrung
    nicht. Gott sei Dank. Das Gespräch verlief reibungslos. »Ja,
    ich spreche noch andere Sprachen, Russisch und Polnisch.«
    Daß ich in Grodno auch Jiddisch gelernt hatte, erwähnte
    ich nicht, dies war der geheime Schatz Salomons, über den
    ich Stillschweigen bewahrte. Kurz: Ich wurde als regulärer
    Schüler in diese einzigartige Einheit der Hitlerjugend, Bann
    468, Niedersachsen Nord, Braunschweig, aufgenommen.
    Bevor mich Fräulein Köchy in den Nebenraum zu den
    psychotechnischen Tests schickte, tauschten wir noch einige
    liebenswürdige Höflichkeitsfloskeln aus. Ich fühlte, wie mir
    ihr herzlicher Blick folgte. Ich hatte natürlich nicht verges-
    sen, bevor ich das Zimmer verließ, mit einem zackigen »Heil
    Hitler!« zu grüßen. In einem faschistischen, totalitären Re-
    gime wie diesem konnte man nie wissen, was in den Köpfen
    der anderen vorging. Auch deshalb war es unbedingt ratsam,
    solche Rituale nicht zu mißachten. Eine Nachlässigkeit in
    diesem Zusammenhang konnte das Bild trüben, das ich von
    mir abgeben wollte.
    Im Nebenbüro mußte ich ein Metallobjekt bis auf das
    letzte Stück auseinandernehmen und binnen einer bestimm-
    ten Zeit wieder zusammensetzen. Ich gab auch diesmal mein
    Bestes. Ich wußte, daß ich dieses kleine Hindernis fehlerlos
    überwinden mußte, und der Erfolg war mir beschieden. Ich
    zeichnete mich unter den Ersten aus. Ich

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