Ich war Hitlerjunge Salomon
erhielt Schulmittel
und Bücher, von denen ich gehört, die ich aber nicht gelesen
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hatte, darunter Mein Kampf von Adolf Hitler und Der Mythus
des 20. Jahrhunderts von Alfred Rosenberg, dem Chefideolo-
gen der NSDAP. In den folgenden drei Jahren habe ich diese
beiden Werke, die in der nationalsozialistischen Ideologie eine
Schlüsselstellung einnahmen und die Grundlagen der natio-
nalsozialistischen Rassentheorie schufen, bis zum Überdruß
widergekäut.
Die gängigen Fächer, die in den Schulen der ganzen Welt
gelehrt werden, nahmen mich nicht über Gebühr in Anspruch,
im Gegenteil; mich mit ihnen zu beschäftigen, war mir eine
moralische Unterstützung und eine Befriedigung. Ich begriff
rasch und schätzte, was man mir vermittelte. In Lodz hatte
mir ein Erzieher vorausgesagt, daß ich Professor werden wür-
de. Auch in Grodno hatte ich zu den »Besten der Lehre und
Disziplin« gehört, und mein Photo hing an der Ehrentafel
der Oberschule. Es war die »Rassentheorie«, die mich auf das
Schlimmste und Schmerzhafteste belastete.
Jetzt, vier Jahrzehnte später, muß ich mein Gedächtnis
anstrengen, um wieder hervorzukramen, was ich damals ge-
zwungen war zu pauken. Dazu versenke ich mich in mich
selbst, schließe mich gegen die Außenwelt ab, mache die
Augen zu, streiche mir mit den Fingern übers Kinn … und
gehe zurück, bis ich wieder in meinem Klassenzimmer bin,
ich setze mich auf meinen Platz in der Mittelreihe. Mein
Magen verkrampft sich und tut mir weh. Genau wie da-
mals. Ich bin wieder siebzehn Jahre alt und sitze in meiner
hakenkreuzgeschmückten Uniform gespannt zwischen den
anderen, der Dinge harrend. Gleich wird sich die Tür öffnen
und der Rassenkundelehrer eintreten. Er ist jung, hat helles,
kurzgeschnittenes Haar, eine dünne goldfarbene Nickelbrille.
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Er trägt eine braune SA-Uniform und schwarze Stiefel. Die
Schüler fahren hoch, stehen stramm und brüllen wie aus ei-
nem Munde: »Heil Hitler!« und setzen sich wieder, nachdem
sie den Arm gesenkt haben.
Alle Schüler saßen dann mit vorgerecktem Hals da, reglos,
den Blick starr auf den Lehrer geheftet. Das minutenlange
Schweigen war mir besonders unerträglich. Es knisterte vor
Spannung.
Der Lehrer schlug ruhig das Klassenbuch auf, schaute
langsam in die Runde und überprüfte die Anwesenden, trug
etwas ein und begann mit dem Unterricht.
Seine gegen mein Volk gerichteten Lehrsätze ließen mich
innerlich aufschreien. Ich verharrte in meiner Bank, ein Ge-
fangener, und wartete ungeduldig auf das befreiende Läuten.
In den Pausen stellte ich mich abseits und versuchte, mich
bis zur nächsten Stunde wieder zu beruhigen.
Wie konnte ich mich nur zwischen sie setzen und die Ge-
setze über die Ausblutung des jüdischen Volkes lernen und
dabei bei Verstand bleiben? Die Erklärung ist darin zu suchen,
daß ich mir der ganzen Abscheulichkeit der Situation, in der
ich mich befand, nicht bewußt war. Ich litt unter permanenter
Verfolgungsangst. Ein unerwarteter Aufruf meines Namens
oder die Aufforderung, mich bei einem Vorgesetzten zu melden,
lösten sofort Alarmsirenen und den schrecklichen Gedanken
in mir aus, meine letzte Stunde sei gekommen. Für mich war
jeder Fremde, der in meinem Gesichtsfeld auftauchte, ein
Gestapomann, der mich verhaften wollte.
Die meisten Passagen ihrer Lehre versetzten mich sofort in
Furcht und Schrecken. Eines der Kapitel hieß: »Charakteri-
stische Unterscheidungsmerkmale der Juden«. Unterrichtsziel:
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»Erkenne deinen Feind!« Auf einer Wand in unserem Klas-
senzimmer hingen zur Anschauung großformatige Photogra-
phien von jüdischen Gesichtern im Profil und von vorn. Zu
sehen war auch eine Zeichnung vom ewigen Juden, einem
verhutzelten Mann, der sich auf einen Stock stützte, Fetzen
auf dem Leib und einen Lumpensack auf dem Rücken trug.
Die Bildunterschrift besagte: »So sind sie aus dem Osten ge-
kommen …« Auf dem folgenden Photo war derselbe Jude
dargestellt, aber diesmal dickbäuchig, prächtig gekleidet und
über und über mit Gold und Diamanten behängt, eine Zigarre
im listig lächelnden Mund. Unter seinem Fuß wand sich ein
deutscher Bauer. Die Bildunterschrift dazu lautete: »… und
das sind sie bei uns geworden.«
Jede Einzelheit, jedes Körperglied und jede Schädelform
wurden getreu der deutschen Art systematisch behandelt. Die
Liste der Unterscheidungsmerkmale wurde täglich länger und
fül te schließlich die
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