Ich war Hitlerjunge Salomon
entfernt.
An einem der nächsten freien Sonntage lade ich dich zu mir
ein. Ich bin sicher, daß sich meine Eltern freuen würden, dich
kennenzulernen, und du könntest bei der Gelegenheit die Stadt
besichtigen.« Mit einem kurzen Danke und einem Gutenacht-
gruß beendete ich diese Unterhaltung vol er Fal stricke.
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Ich wühlte meinen Kopf in das Kissen und hoffte einzu-
schlafen. Ich dachte an meine Zukunft, an das, was sie für
mich bereithielt. Hätte Gerhard in diesem Augenblick den
Kopf gedreht, hätte er mein aufgeregtes Gesicht gesehen und
seinen Zimmernachbarn etwas verdächtig gefunden. Glück-
licherweise blickte er zur Decke.
Guten Tag, Deutschland! Guten Morgen, Schule! Ich habe
in der ersten Nacht sehr gut in deinem Bett geschlafen, einem
Geschenk des Dritten Reiches. Es war ein erholsamer Schlaf,
aus dem kein schlechter Traum mich aufschreckte.
Allem Anschein nach fühlte sich der frischgebackene Hit-
lerjunge Jupp wohl in seiner Rolle, sehr im Gegensatz zum
Schloimele im Waisenhaus von Grodno, der seine Laken zum
Trocknen hatte aufhängen müssen. Er gehörte ganz und gar
zu dieser Elite junger deutscher Männer. Jupp erinnerte sich
kaum noch an Salomon. Er hatte ihn zugedeckt, er versuchte,
die Vergangenheit zu vergessen, und dies einzig, um Schlo-
imele Perel, dem Sohn Israels und Rebekkas, dem Enkel des
Weisen von Wilkomir und des Reb Eliahu Bar Halperin das
Leben zu retten. Tief im Innern mahnte ihn manchmal etwas
daran, es war der Funke des Ursprungs, der nicht erloschen
war und niemals verglimmen würde.
Draußen schien die Frühlingssonne. Der berauschende Duft
der Grünflächen und Blumenbeete drang durch die offenen
Fenster. Ich erhob mich und betrachtete meine neue Welt. Die
Schönheit der Landschaft bestärkte mich in meinem Vorsatz,
und ich gab mir das Versprechen, mich nicht entmutigen zu
lassen, bis Leben und Freiheit wieder triumphierten.
Auf dem Weg zur Morgentoilette in den Waschräumen
summte ich die berühmte Melodie Lili Marleen . Höflich
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lächelnd erwiderte ich die von allen Seiten mir entbotenen
»Guten Morgen«, und »Heil«. Dann legte ich mit Sorgfalt
meine Uniform an. Sie war tadellos gebügelt, wie es sich für
den morgendlichen Marsch zu unserem »Kraft durch Freude«-
Tempel geziemte. Die Nazis hatten die Kraft auf ihre Fahnen
geschrieben und die Nachbarstadt Wolfsburg in »KdF-Stadt«
umgetauft. Hier befand sich das Hauptwerk von Volkswa-
gen . Wir sollten es auf unseren verschlungenen Wegen noch
besuchen.
Ein köstliches Frühstück – wieder mit Kunsthonig –, dem
eine unerwartete und fröhliche Unterhaltung mit dem Heim-
führer folgte, erhöhte meine gute Laune. Ich machte kein
Aufhebens mehr von meinen vorgestrigen inneren Spannungen.
Diese Kunstnahrung, die natürlichem Honig in Geschmack
und Farbe zum Verwechseln ähnlich war, beschäftigte mich.
Später erklärte mir jemand, daß es sich um ein Erzeugnis
handle, das die Deutschen aus Kohle gewönnen. Bestimmte,
bei der Raffinierung ausfallende Substanzen wurden zur Her-
stellung des mineralstoffreichen eßbaren »Honigs« verwandt.
Ich mochte diese eigenartige Paste gern. Jetzt verstand ich
auch den Sinn der neben den Steckdosen angebrachten Auf-
kleber mit der Karikatur eines Lumps mit rußgeschwärztem
Gesicht und Augenklappe, seine Beute auf dem Rücken: einen
Sack Kohlen. Die Aufschrift mahnte: »Sei nicht auch Du ein
Kohlenklau. Spar Energie und schalte das Licht aus!«
Nach dem Frühstück sollte ich im Hauptbüro bei Fräulein
Köchy vorsprechen. Eine solche Mitteilung ließ mich sofort
zusammenzucken und verursachte mir Bauchschmerzen. Was
wollte man denn schon wieder von mir? Ich baute mein Bett
fertig, und während meine Heimkameraden in ihre jeweiligen
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Klassen gingen, machte ich mich auf die Suche nach Fräulein
Köchy. Eine bedrückende Stille herrschte in dem Gebäude,
in dem ich zum ersten Mal dem Bannführer begegnet war.
Nur die zuschlagenden Türen und leises Stimmengewirr lie-
ßen auf die Anwesenheit von Menschen schließen. Rechts
von der Eingangshalle stieß ich auf eine weiße Tür mit dem
Zeichen des Deutschen Roten Kreuzes: »Krankenrevier«. Ich
bleib kurz stehen, und plötzlich überlief es mich eiskalt: Eine
neue Gefahr drohte, die Untersuchung. Daß ich daran nicht
gedacht hatte! Jeder Anfängerarzt würde auf der Stelle meine
Beschneidung entdecken. Ginge ich zu ihm hinein, käme ich
zwar
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