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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Perel
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Wandtafel aus. Die Hand des strebsamen
    Schülers Jupp, der schließlich ein guter Schüler sein wollte,
    schrieb, ohne zu zittern, alles genau ab. Nur seine Augen
    blickten sich mißtrauisch um, ob jemand nicht etwas auffiele
    an ihm. Denn ich ähnelte vielen uns gezeigten Prototypen,
    wies viele der uns beschriebenen »Unterscheidungsmerkmale«
    auf. Ihnen zufolge erkannte man den Juden an der niedri-
    gen Stirn, dem länglichen Schädel, der untersetzten Gestalt
    (im Gegensatz zum hochgewachsenen Arier), an der langen
    Hakennase, der Beschneidung, den Plattfüßen, usw. Eines
    Tages kam noch die Körpersprache hinzu, das Gestikulieren.
    In diesem Augenblick nahm ich mir vor, meine Worte nach
    Möglichkeit nicht mehr mit lebhaften Gebärden zu unterstrei-
    chen. Wenigstens dies sollte keinen Argwohn erregen.
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    Ich hatte zunehmend das Gefühl, verfolgt zu werden. Ei-
    nes Tages wurden mir jedoch unvermutet Unterstützung und
    moralische Stärkung zuteil. Es geschah bei einem Vortrag über
    »die völkische Beschaffenheit unserer Gemeinschaft«. »Das
    Bündnis des deutschen Blutes« bestand aus sechs Rassen; die
    Herrenrasse, die sich vor allen anderen auszeichnete, war die
    nordische. Diejenigen, welche ihr entstammten, besaßen Ei-
    genschaften, die sie zu Macht, Organisation, Wissenschaft und
    Kultur prädestinierten. Daß Gott ausschließlich der nordischen
    Rasse diese Eigenschaften verliehen hatte, bewies, daß sie –
    und nur sie – auserwählt worden und fähig war, in der Welt
    Ordnung zu schaffen und insbesondere das Abendland vor
    seinem Untergang zu retten: »Gott hat uns erwählt.«
    Die Politik des Führers undder Partei war bestrebt, die
    Ausdehnung der nordischen Rasse zu beschleunigen, und zwar
    unter Einbeziehung der anderen, weniger privilegierten Rassen
    wie die der Finnen, Westeuropäer, Rumänen und Ostbalten, mit
    denen sich das nordische Element im Lauf der Generationen
    und unter dem Einfluß fremder Völker vermischt hatte. Sie
    bildeten die arische Rasse. Um den »Germanisierungsprozeß«,
    der zu einem regelrechten Kult geworden war, voranzutreiben,
    ließ man aus Norwegen junge Männer kommen, die zuvor
    gründlich untersucht worden waren. In speziellen Einrichtun-
    gen brachte man sie mit rein arischen und »absolut koscheren«
    Frauen zusammen, die von diesen Auserwählten geschwängert
    werden durften. Man schenkte dem Führer die Frucht dieser
    Verbindungen, als Zeichen der Verherrlichung der nordischen
    Rasse. Die Neugeborenen, »Sonnenkinder« genannt, wurden
    zumeist von Familien SS-Angehöriger adoptiert oder in Na-
    tionalpolitischen Erziehungsanstalten untergebracht.
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    Als ich mich eines Tages mit einigen Freunden in einer
    Bierstube in Braunschweig aufhielt, setzten sich ein paar Stu-
    dentinnen zu uns. Die eine von ihnen erzählte uns stolz, daß
    ein Propagandaredner auf das Universitätsgelände gekommen
    sei und sie dringend aufgefordert habe, sich persönlich an
    der Ausführung des Führer befehls über die Steigerung der
    Geburtenrate der nordischen Rasse zu beteiligen, da doch das
    Gebot »Seid fruchtbar und mehret euch« oberstes Gesetz der
    Volksgemeinschaft sei. Ich habe das Fräulein nicht gefragt,
    ob sie die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen und sich das
    Vergnügen gemacht habe. Eine meiner im BDM organisierten
    Bekannten hatte ohne Wissen ihrer Eltern ihre Gebärmutter
    zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt.
    Dem gelehrten Propagandaredner zufolge waren die Nor-
    weger das einzige Volk, in dessen Adern rein nordisches Blut
    ohne fremde Beimischung floß, ein Erbe der alten Teutonen
    und Wikinger.
    In unserer Schule waren Jungen aus allen Gegenden des
    Reichs vertreten. Zur Veranschaulichung und Erörterung der
    hervorstechenden Merkmale wurden die Schüler rein nordischen
    Typs und die Schüler anderer rassischer Einschläge einzeln
    an die Tafel gerufen. Als ich einmal in Gedanken versunken
    dasaß, drang die Stimme des Lehrers an mein Ohr, der laut
    meinen Namen sagte und mich aufforderte, mich vor die
    Klasse zu stellen. Ein Zittern überfiel mich. Welchen Unsinn
    hatte unser junger SA-Lehrer nun wieder ausgebrütet? Wie
    sollte ich ihm als Unterrichtsbeispiel dienen? Ich erhob mich
    und ging an die Tafel, als balancierte ich auf Planken über
    den Abgrund, als würde ich, der unschuldige Zuschauer, in
    die Arena zu den Gladiatoren geschickt. Kein Rückzug war
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    möglich, und der Boden öffnete sich nicht, um mich zu ver-
    schlucken. Auf dem

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