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Ich war nur kurz bei Paul

Ich war nur kurz bei Paul

Titel: Ich war nur kurz bei Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herfried Loose
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Planes aus.
     
    Gegen Abend fahren sie erneut zu St. Petri.
     
       »Los jetzt! Geh rein und lenke die Kassiererin ab! So, wie wir das besprochen haben. Mich darf sie nicht sehen. Uhrenvergleich!« Die Freunde halten ihre Armband-Uhren in den Schein der Straßenlaterne. Sie laufen immer noch synchron, das hatten sie schon zuvor so eingestellt.
     
    Es ist genau 20:55 Uhr.
     
    ***
 
    Maik ist noch nie hier oben gewesen. Er ist schon fünfzehn Minuten früher her gekommen, um die Lage zu peilen. Der besagte Papierkorb sticht ihm sofort ins Auge, als er den Fahrstuhl verlässt. Neben dem Korb steht eine Sitzbank. Die Empore, die um den Fahrstuhlschacht verläuft, sieht modern und freundlich aus, ebenso die eigentliche Aussichtsplattform.
       Maik hat sich diesen Ort viel düsterer und mittelalterlicher vorgestellt. Auf der Plattform halten sich noch Besucher auf, so dass er, um sich nicht verdächtig zu machen, abwartet. Die bunten Lichter der Stadt sind faszinierend anzusehen. Münzfernrohre stehen auf zwei Seiten der Plattform, neben ihnen sind auf Schautafeln die wichtigsten Gebäude der Stadt erklärt.
       Maik schaut sich um: Die Besucher wirken unverdächtig. An der Decke der Plattform entdeckt er zwei Kameras. Er hatte schon beim Lösen des Besuchertickets im Kassiererhäuschen das schwarzweiß flimmernde Monitorbild gesehen, das automatisch in Fünf-Sekunden-Intervallen zwischen beiden Kameraperspektiven hin und her wechselt. Die rundliche Kassiererin mit den dicken Brillengläsern hatte ihn beim Verkauf des Tickets darauf hingewiesen, dass der Turm um einundzwanzig Uhr schließt. Er solle auf den Gong achten, der darauf hinweist.
       Maik ist aufgeregt. Wer will da etwas von ihm erpressen? Er tippt auf Hintermänner von Todd. Er hat bisher immer geglaubt, dass Todd nur ein Kleindealer ist, der auf eigene Rechnung arbeitet. Sollte er sich da verrechnet haben? Vielleicht wollen ihn die Erpresser, da Todd in Haft sitzt, zu dessen Nachfolger machen? Er weiß es nicht.
       Die helle Atmosphäre von St. Petris Aussichtsplattform und die Kameras beruhigen ihn. Mittlerweile beginnt sogar die Neugier seine anfängliche Furcht zu übertrumpfen.
       Obwohl der Gong noch nicht ertönt ist, leert sich die Plattform bereits nach und nach. Maik schlendert möglichst unauffällig zur Sitzbank und setzt sich. Ein Kontrollblick zu den Kameras zeigt ihm, dass er dort, wo er sitzt, nicht von ihnen erfasst wird. Gut so. Schnell hebt er den Deckel des Papierkorbes an. In dem Müllsack liegt nichts, was nach einer Botschaft aussieht. Er wühlt darin, fast wie ein Schuler auf der Suche nach etwas Essbarem. Wie peinlich! Der Gong ertönt. Wo ist nur diese blöde Nachricht? Als er schon aufgeben will, sieht er den roten Umschlag: Er klebt an der Innenseite des Deckels. Man kann ihn erst sehen, wenn man den Deckel ganz hochklappt. Er reißt ihn ab und zieht einen Zettel hervor:
     
    Setz dich auf die Bank und warte bis 21:05 Uhr. Dann kommst du runter. Die Kassiererin hat ein Paket für dich. Nenne ihr das Codewort: Todd
      ***
 
    Ralf steht am Ansichtskartenständer vor dem Häuschen der Kassiererin. Er hört das leise Pling des Fahrstuhls, das anzeigt, dass die Kabine unten ankommt. Dann hört er Stimmen und die Schritte der letzten Plattform-Besucher, die jetzt die wenigen Stufen von der Fahrstuhlebene herab schreiten.
       Die Kassiererin blickt zu ihnen, scheint jedoch nicht zu zählen. Jetzt kommt sein Einsatz! »Entschuldigen Sie bitte, ich hätte gern zwei Tickets!« Überrascht wendet sich die Kassiererin ihm zu. »Jetzt noch? Es ist Feierabend! Und wieso zwei? Du bist doch allein!« Der Gong ertönt, das Schlusssignal! Verstohlen blickt Ralf auf den Monitor. Die Plattform erscheint leer. »Ja, das weiß ich. Ich möchte zwei Karten für morgen haben. Wir bekommen Besuch und da wollte ich die Tickets zur Begrüßung verschenken, weil ich keine Zeit habe, unsere Gäste zu begleiten. Können Sie mir zwei Karten verkaufen?«
       »Ach so. Hm... Na warte mal! Will mal sehen... habe meine Abrechnung doch schon fertig.« Sie wirkt unschlüssig. Ablenken! Aufmerksamkeit binden! »Ach bitte! Sonst stehe ich morgen mit leeren Händen da.«
       Mürrisch schließt sie die kleine Metallkassette auf, um zu kassieren. Sie reißt zwei Karten von einer Rolle, setzt einen Tagesstempel mit dem Datum des nächsten Tages darauf und malt dahinter ihr Namenskürzel. »Sag deinen Leuten, dass sie Bescheid sagen sollen,

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