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Ich war zwölf...

Ich war zwölf...

Titel: Ich war zwölf... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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und Tochter ist
etwas Normales. Das müßte eingeführt werden. Der Vater soll der einzige
Lehrmeister für die Sexualität seiner Tochter sein. Ein Tochter muß ihren Vater
lieben und ihm blind gehorchen.« Das war sein Katechismus. Zusammen mit den
Hieben, um jeden Widerspruch auszuschließen. Der Shit hatte in seinem Gehirn zu
wirken begonnen.
    Seit drei Tagen läßt er mich in Ruhe.
Ich bin am Ende meiner Kraft. Zum Glück ist Wochenende. Ein Trost für mich. Es
ist Samstag, ich werde das Ereignis im »Chez C.« feiern. Ich brauche Knete, um
das Bier zu bezahlen. Ich stibitze es wieder aus der Kasse meiner Mutter. Ich
bin fünfzehn, und ich bin Alkoholikerin. Ich habe Kontakt mit Drogen gehabt.
Ich bechere und erzähle den Kumpels an der Bar dabei irgendeinen Blödsinn.
Heute abend gehe ich auf ein Tanzfest in Sankt-Dingsda. Ich nehme meine kleine
Schwester mit; sie ist mein Alibi, die kleine Schwester. Der pflichtbewußte
Papa möchte nicht, daß ich allein ausgehe. Zweifelsohne aus Effekthascherei!
Ich könnte mich ja daneben benehmen! Und wenn ich in den Armen eines Jungen
dummes Zeug redete? Ich hab’s satt, die Kleine mit mir herumzuschleppen. Die
Amme zu spielen.
    Ich komme auf dem Tanzfest an, mein
Kopf dreht sich und tanzt Walzer. Ich breche alle Augenblicke in Lachen aus,
als wäre das Leben schön. Das ist der Vorteil beim Bier, man vergißt. Und ich
tanze, ich tanze, ohne mich um die anderen zu kümmern oder um das, was man über
mich denken könnte. Ich tobe mich aus. Die anderen sind mir vollkommen
schnuppe.
    »Na, Nathalie? Alles in Butter?«
    »Alles in Butter...«
    An einem Tisch zusammengesunken heule
ich jetzt. Meine Freundin Flo versteht nichts mehr.
    »Was ist denn los? Alle schauen her,
hör auf...«
    Das würde ich gerne, aber ich habe
einen Weinkrampf. Ich drehe durch. Ich weine auf einen Schlag alle Tränen aus
meinem Körper.
    »Ich habe mit Paul Schluß gemacht. Er
hat mich betrogen.«
    »Paul? Du warst mit Paul zusammen?«
    »Ja, schon...«
    Ich lüge. Ich erfinde mir Freunde. Sie
wären baßerstaunt, diese Jungen, wenn sie wüßten, daß ich ihnen
Liebesgeschichten mit mir anhänge. Die dauern im übrigen nie lange. Einmal ist
es Paul, dann ein anderer. Ich fasse einen Typen ins Auge, er ist nett, die
Mädchen laufen ihm nach oder auch nicht, ganz unwichtig, ich erfinde eine
Geschichte mit ihm, und er läßt mich sitzen. Ich habe dann einen Grund zu
weinen. Unaufhörlich lüge ich jeden an. Niemand wird je die Wahrheit erfahren.
So ist das, anderenfalls droht mir Fürchterliches.
    Das Lügen verschafft mir Erleichterung.
Flo tröstet mich. Der Abend ist zu Ende. Ich sammle die kleine Schwester wieder
ein, ich bin wieder in meinem Zimmer mit denselben Problemen, denselben
Ängsten. Ich zünde eine Kerze an.
    Flo ist nett, aber sie kapiert nichts.
Sie glaubt all den Quatsch, den ich ihr erzähle. Für sie gehe ich mit einem
ganzen Rudel Jungen. Sie hätte ein bißchen genauer hinsehen können. Weint man
so wegen einem Flirt? Niemand stellt sich etwas Schlimmeres vor. Niemand stellt
wirkliche Fragen.
    Ich möchte krepieren, sterben, das
schwöre ich.
    Seit diesem Shit-Abend und diesem
versoffenen Wochenende bin ich aggressiv geworden. Die Zigaretten, der Alkohol,
die Freunde, das lenkte mich für den Augenblick ein wenig ab, wohl wahr. Aber
dann begann alles von neuem, und da bin ich aggressiv geworden. Gefühllos,
kalt, von allem losgelöst. Ich befand mich in einem Tunnel, ich an einem Ende,
er am anderen. Daran gab es nichts zu rütteln. Also wies ich alles übrige und
auch die anderen von mir. Ich tat nichts mehr für die Schule. Abends machte ich
nicht einmal mehr meine Hausaufgaben.
    Eigentlich wollte ich Rechtsanwältin
werden, aber im Augenblick hatte ich dafür keinen Nerv. Ich hatte gerade genug
Kraft, um ihn zu ertragen und keinerlei Energie für irgend etwas anderes. Er
hatte eine Hure und einen Putzlumpen aus mir gemacht, ein Stück Dreck. Ich
hatte es satt, die Stunde abzupassen, in der er kommen würde, um dann schnell
zu verschwinden, ohne daß er mich sieht. Satt, auf das Motorengeräusch des
Mercedes zu lauern, bei Telefonanrufen, beim Geräusch der Türen aufzuschrecken.
Schon allein die Tatsache, mich mit ihm in ein und demselben Zimmer
aufzuhalten, versetzte mich in Panik. Mir blieb nur Aggressivität und Lüge.
Nicht gerade viel, um zu überleben! Morgens beim Frühstück schon lügen.
    »Guten Tag, Papa.« (Mach dich bloß weg,
Papa.)
    Am Abend lügen.
    »Ja, ich

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