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Ich weiß, ich war's (German Edition)

Ich weiß, ich war's (German Edition)

Titel: Ich weiß, ich war's (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief , Aino Laberenz
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ansonsten gab’s nur Verrisse. Und an dem Abend kam noch Ulrich Gregor, damals der Leiter des Forums, und sagte, er sei zwar froh, dass er den Film gezeigt hätte, aber er müsse morgen in den Senat. Die hätten ihn gerade angerufen, wollten wissen, was das solle, dass er so einen Film zeige.
    Es war nicht zu fassen!
    An demselben Abend habe ich auch noch mit meiner damaligen Freundin Schluss gemacht. Mit der Begründung, sie müsse mich jetzt auch mal verteidigen, sie könne da nicht immer nur so wie ein Mäuschen rumsitzen. »Du musst jetzt irgendwie nach vorne, wir müssen jetzt hier kämpfen, und wenn du nicht mitkämpfst, dann bist du nicht auf meiner Seite« – so was in der Art hab ich da geschrien. Ich war wirklich ein Riesenarschloch.
    Also Trennung, der Schritt ins Nichts. Dann kam mein Produktionsleiter an und meinte: »Da ist eine Frau, die ist Wahnsinn, die musst du unbedingt kennenlernen.« Für den nächsten Tag wurde ein Termin gemacht in der Berlinale-Cafeteria, damals noch im Westen. Ich sitze depressiv in diesem Café rum und warte, da kommt tatsächlich eine Wahnsinnsfrau an, lange rote Haare, wunderschönes blasses Gesicht: Tilda Swinton. Ich sehe die und denke: Klingeling, wow, was ist denn das? Bei ihr hat’s auch geklingelt, und dann sind wir händchenhaltend durch dieses Eis von Berlin gelaufen, es war noch richtig Winter, bitterkalt. Ich konnte kaum Englisch und sie konnte kein Wort Deutsch, aber das machte nichts, wir haben sowieso nur geweint und geknutscht, immer abwechselnd. Sie hat geweint wegen irgendwas, ich weiß bis heute nicht, warum. Und ich hab geweint wegen dieser Totalverwirrung um »Menu Total«, wegen der Trennung, die mich doch ziemlich mitnahm, und natürlich wegen allgemeinem Weltschmerz. Stundenlang ging das so mit der Knutscherei und Heulerei im Schnee, irgendwann wurde es uns aber doch zu kalt und wir sind ins »Florian« geflüchtet. Als wir reingehen, stürmt ein Mann auf mich zu, nimmt meine Hand und sagt: »Hallo, ich hab gestern Ihren Film gesehen, ich hab mich kaputtgelacht. Mein Name ist Udo Kier.« – »Udo Kier?« Ich wusste überhaupt nicht, wer das ist, in dem Moment war ich echt überfordert. Tilda wollte mir helfen und flüsterte: »Andy Warhol, Dracula, Frankenstein.«
    Warhol? Frankenstein? Dracula? Ich dachte, jetzt dreh ich völlig durch. Aber ich habe mir überlegt, das ist doch super, kenn ich mal einen, der bei dem Film gelacht hat. Wir haben uns also zusammen hingesetzt, und dann legte Udo erst richtig los: »Menu Total« sei wirklich toll, da seien so viele Unschärfen drin, all die Leute, die schreiend durch die Landschaft rasen, all die verbogenen Gesichter. Die Szene, in der Alfred Edel unerträglich lang rumkotzt, habe ihm besonders gut gefallen. Und dann schlug er vor, wir sollten alle zusammen einen Film machen. Nach all den Attacken war ich natürlich begeistert, dass da einer so enthusiastisch war. Ich bin gleich nach Mülheim zurück, hab das Drehbuch geschrieben, alles organisiert, Drehort, das Team, Unterkünfte – und zehn Tage, nachdem wir uns kennengelernt hatten, sind wir los, alle zusammen auf die Nordsee-Hallig Langeness und haben dort »Egomania – Insel ohne Hoffnung« gedreht. Udo als unheimlicher Baron, eine Mischung aus Vampir und Teufel, der die Insel tyrannisiert und durchdreht, als die wahre Liebe in Gestalt von Tilda seine Herrschaft bedroht.
    Ich glaube, dieser Film ist gar nicht so schlecht, der ist wahrscheinlich sogar richtig gut. Vielleicht ein bisschen kitschig, aber ich bin ja auch eine extreme Kitschnudel. Und das Ganze ist schließlich ein Melodram. Auch die Landschaft passte super: Wir waren völlig abgeschnitten von der Außenwelt, weil der Winter extrem kalt war und es aussah, als seien wir im ewigen Eis gelandet. Hochromantisch war’s. Tilda und ich total verliebt, Udo supersauer. Der schimpfte permanent rum: »Der Schlingensief dreht nur noch mit der Alten, ich komme kaum noch vor. Immer rennt die mit den ganzen Schleiern übers Eis und der stolpert wie ein Wahnsinniger mit der Kamera hinterher! Das muss doch mal ein Ende haben!«
             
Filmplakat zu »Menu Total«, 1986

             
»So ein Quatsch …«: Auszüge aus Rezensionen zu »Menu Total«, die Schlingensief seinerseits am linken Rand handschriftlich rezensiert bzw. benotet hat, 1986

    Geld für den Film hatte ich übrigens schon. Die Filmförderung hier in Hamburg hatte mir kurz vorher 89   750 Mark für irgendein

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