Ich weiss, wie du tickst: Wie man Menschen durchschaut (German Edition)
unterdrückt, und darum «gibt» man sich moralisch. Moralische Grundsätze werden, wie schon einmal angedeutet, vielfach auch von Behörden, staatlichen Einrichtungen und anderen «ehrwürdigen» Institutionen legitimiert und sind darum weit verbreitet. Statt Entscheidungs- und Handlungsalternativen zu suchen und zu prüfen, inwieweit sie den menschlichen Bedürfnissen entsprechen, wird schematisch nach Regeln und Normen vorgegangen (vgl. Friedmann 2010, S. 88).
Der «Gewinn» aller dieser «Spielchen» besteht darin, sich selbst nicht ändern zu müssen. Stattdessen wird versucht, die anderen dahingehend zu manipulieren, dass sie sich ändern. Der Spieler begnügt sich mit etwas, das «so aussieht, als ob», z. B. Image statt echter Leistung, erzwungene Mitleidsreaktionen statt spontaner Sympathie oder Ansehen statt Persönlichkeit.
Woran wir wachsen können
Eine Katze hatte Bekanntschaft mit einer Maus gemacht und ihr so viel von Freundschaft vorgeschwärmt, dass sie schließlich einwilligte, mit ihr zusammenzuziehen. «Mäuschen, bald ist Winter, und damit du mit deinen kurzen Beinen nicht so weit laufen musst, sollten wir Vorräte anschaffen», sagte sie. So wurde ein Töpfchen mit Fett gekauft, und weil in der Wohnung kein Platz war, versteckten die beiden es in der Kirche. Es dauerte nicht lang, bis die Katze Appetit bekam, und so sagte sie zu ihrer Wohnungsgenossin: «Liebes Mäuschen, ich will heute mal alleine ausgehen. Meine Nichte hat ein Kind bekommen, und ich bin zur Taufe eingeladen. Hüte du das Haus und mach derweil die Hausarbeiten.» «Ja, ja», sagte die Maus, «und denk an mich, denn ich wäre auch gern dabei und würde von dem süßen Kuchen naschen.» Die Katze aber schlich sich in die Kirche und leckte am Fetttöpfchen. Sie räkelte sich in der Sonne und machte sich einen schönen Tag. Als sie am Abend nach Hause kam, fragte die Maus, die derweil gearbeitet hatte: «Auf welchen Namen wurde denn das Kind getauft?» «Es heißt Hautab», sagte die Katze, und die Maus wunderte sich über den merkwürdigen Namen .
Nach einer Weile gelüstete der Katze wieder nach dem Fetttöpfchen und sie sagte zur Maus: «Du musst mir den Gefallen tun und nochmals allein das Haus hüten. Meine Nichte hat noch ein Kind bekommen, und ich bin wieder zur Taufe eingeladen.» Die Maus willigte gerne ein, die Katze aber schlich sich wieder in die Kirche, um am Fett zu lecken. Diesmal fraß sie den Topf halbleer. Zurückgekehrt nach Hause, fragte die Maus wieder: «Wie heißt denn das Kind?» «Es heißt Halbaus», antwortete die Katze. «Wieder so ein seltsamer Name», rief die Maus, «den habe ich noch nie gehört!» Bald bekam die Katze erneut Appetit auf den Leckerbissen in der Kirche, und das Spiel wiederholte sich. Das Kind, so sagte die Katze der Maus diesmal, hieße «Ganzaus». «Diese seltsamen Namen machen mich nachdenklich», meinte die Maus nur .
Als nun der Winter kam und das Futter im Freien zur Neige ging, sagte die Maus: «Liebe Katze, wir wollen zum Fetttopf gehen und uns satt fressen.» «Jawohl», meinte die Katze, «der wird dir schmecken!» Als sie in der Kirche ankamen, stand die Maus vor dem leeren Topf und klagte: «Ach, jetzt erst merke ich, was geschehen ist! Du bist mir ja eine schöne Freundin! Aufgefressen hast du alles, daher auch die komischen Namen deiner angeblichen Verwandten.» «Bist du wohl ruhig!», miaute die Katze. «Noch ein Wort und ich fresse dich auf!» «Ganzaus», konnte die Maus gerade noch schluchzen, bevor die Katze mit einem Satz nach ihr griff und sie hinunterschluckte. So geht es manchmal zu in der Welt!
Die rotdominante Katze mit listigen Eigenschaften legt die gründominante Maus herein. Zu weit hergeholt? Keineswegs! Die Jahrtausende alten Märchen vermitteln uraltes Wissen über das Leben, und sie sind, wie Dietmar Friedmann herausgefunden hat, oft typenspezifisch. Das heißt, für jeden der drei Typen gibt es spezielle Märchen, die jeweils Wachstumsmöglichkeiten aufzeigen, indem die Helden ihre charakteristischen Defizite erkennen und überwinden. Im obigen Fall ist die gutmütige Maus leider auf das Verfolgerspiel der rotdominanten Katze komplett hereingefallen. Sie hat die deutlichen Signale der Katze nicht erkannt, weil sie Schwierigkeiten mit dem Nachdenken hatte (fehlendes Blau) und weil sie die Aggression und die List der Katze unterschätzt hatte (fehlendes Rot). So wurde sie zum Opfer, und es gab kein Happy-End. In vielen Märchen ist das jedoch
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