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Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch

Titel: Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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ihr Mann auf Reisen ist. Aber jetzt, wenn der Krause so gezielt danach fragt, wie meine Mutter reagiert hat, fühle ich selbst, wie schrecklich und verantwortungslos sie war. Sie hat mich nicht beschützt. Sie hat es nicht einmal ernsthaft versucht.
    Nicht nur, dass meine Noten schlechter wurden. Ich habe auch das Essen verweigert. Mein Stiefvater hat einmal zu mir gesagt: »Ich finde es schön, dass du nun weiblicher wirst.« Also habe ich gedacht, das verhindere ich, indem ich aufhöre zu essen. Aber es hat mir natürlich nichts gebracht – außer dass ich immer dünner und kraftloser wurde.
    Wahrscheinlich war es ihr egal. Oder sie war froh, dass er sie dafür in Ruhe ließ. Diese Erkenntnis tut so weh, dass sie mich fast zerreißt. Es ist zu viel Schmerz für mich. Alles. Diese ganze Befragung. Diese abartigen alten Bilder.
    Wenn ich über all das reden muss, brechen die Erinnerungen über mir zusammen und begraben mich, ohne dass ich eine Chance hätte, mich freizuschaufeln. Es ist schrecklich. Ich fühle mich so ohnmächtig. Ich hasse das.
    Herr Krause sieht mir meine Erschöpfung wohl an und schlägt eine kurze Pause vor. Ich kann bloß noch nicken und fühle mich wie ein Sack – unfähig, selbstständig aufzustehen. Herr Krause erhebt sich von seinem Stuhl und verlässt das Vernehmungszimmer. Mein Rechtsanwalt bleibt neben mir sitzen. »Diese Lehrerin müssen wir unbedingt als Zeugin haben«, jubelt er beinahe, sobald Herr Krause aus dem Raum ist. Zum ersten Mal spüre ich etwas wie Leben in ihm. Seine Entschiedenheit überrascht mich und reißt mich aus meiner Lähmung. Erstaunt sehe ich ihn an. Er sieht plötzlich gar nicht mehr so schlaff aus. Herr Rabe scheint gerade zu wachsen – er wirkt mit einem Mal viel klarer, straffer, aufrechter. Und in seinen Augen blitzt es verwegen.
    Einen kurzen Augenblick empfinde ich tatsächlich etwas wie Freude über seinen unerwarteten Kampfgeist. Vielleicht kann er mir doch helfen?
    Erst im zweiten Gedankengang verstehe ich die Bedeutung von dem, was er da gerade verkündet hat: Meine Lehrerin soll offenbar vor Gericht erscheinen! Mir schaudert. Ich will sie nicht mehr sehen! Ich will sie nie mehr sehen!
    Womöglich erfährt sie dann ganz genau, wie es bei uns zu Hause war, was mein Stiefvater mit mir angestellt hat. Diese feige Verräterin! Das will ich nicht. Ich will nicht, dass meine Geschichte so breitgetreten wird!
    Verzweifelt schaue ich zu Herrn Rabe herüber, der weiterhin sehr konzentriert und durchaus zufrieden aussieht. Er scheint meinen Blick richtig zu deuten, denn ohne dass ich etwas sagen muss, erklärt er: »Das ist sehr wichtig. Es erhöht Ihre Glaubwürdigkeit.« Daraufhin traue ich mich nicht mehr, etwas dagegen einzuwenden. Und schon kommt auch Kriminalkommissar Krause zurück. »Geht's wieder?« Er gießt mir ein wenig Sprudelwasser in mein leeres Glas. In seinen Augen lese ich Mitgefühl und Wohlwollen. Und wieder nehme ich mir vor, die beiden Männer hier im Raum nicht immer als Gegner zu sehen. Sie wollen mir doch wirklich nur helfen. Auch wenn sie nicht verstehen, dass ich ihre Hilfe nicht will, weil sie mir nichts bringt. Nichts kann das Geschehene wiedergutmachen. Aber was soll ich machen? Nun sitze ich hier.
    Krause: »Nach dem Vorfall ist keiner mit dir zum Arzt oder in die Krankenhausambulanz gefahren? Du hast doch bestimmt eine Gehirnerschütterung gehabt, wenn du dich anschließend gleich übergeben musstest.«
    Ich: »Nein.«
    Krause: »Bist du denn am nächsten Tag in die Schule gegangen oder war Wochenende?«
    Ich: »Nein. Ich war da gar nicht mehr in der Schule. Sie haben mich anscheinend erst einmal krankgemeldet und kurz darauf hab ich dann die Schule gewechselt.«
    Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll, 15. Juli 2011, 11:20 Uhr
    Martin Krause zieht die Augenbrauen hoch und guckt mich an. Ich weiß, dass es unglaublich klingt, aber es war so. Unmittelbar nach diesem Vorfall kam meine Mutter in mein Zimmer und erklärte mir, dass ich die Schule wechseln würde. Basta. Ende der Diskussion.
    Mir war alles gleichgültig. Dann würde ich die siebte Klasse eben an einer anderen Schule wiederholen. Was soll's? Fest stand nur, dass ich nie wieder jemandem vom Missbrauch erzählen würde. Wozu auch? Um mich wieder halb totschlagen zu lassen? Nein. Aus diesem Fehler hatte ich gelernt.
    Krause: »Das heißt, du hast auch die Lehrerin, der du dich anvertraut hast, nie mehr gesehen?«
    Ich: »Nein. Aber ich glaube, sie hat zusätzlich noch das

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