Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Lacour
Vom Netzwerk:
dann war Ingrid tot. Alle fanden das schrecklich, aber für mich war es …«
    Ich warte, ob er den Satz beendet, aber er schüttelt nur den Kopf.
    »Komm mit«, sage ich.
    Er hält meinen Mocha in der einen und seinen Tee in der anderen Hand, während ich das Rad zum Kino schiebe. Auf dem Weg dorthin sucht Jayson immer noch nach den richtigen Worten.
    »Alle waren total fertig. Du hast es ja mitbekommen.«
    »Nein. Ich weiß nicht, was die anderen gefühlt haben. Ich bin danach nicht mehr zur Schule gegangen. Ich hab die letzte Schulwoche verpasst, und als das neue Schuljahr wieder losging, hat kaum noch einer darüber gesprochen.«
    »Oh. Aber echt, alle waren total schockiert. Keiner hat verstanden, wie das passieren konnte, niemand hätte das für möglich gehalten, alle haben gesagt, dass Ingrid doch so begabt war, und alle haben sich gewünscht, sie hätten sie besser gekannt. Solche Sachen.«
    Ich versuche, mir das vorzustellen. Ich möchte Jayson fragen:
Wer? Wer hat das gesagt?
Er soll mir Namen nennen, weil ich mir das überhaupt nicht vorstellen kann. Ingrid war nicht unbeliebt, aber im Grunde hat sich niemand für uns interessiert.
    Wir laufen weiter, und bald überholen uns keine Autos mehr, und dann stehen Jayson und ich vor dem Kino.
    Er dreht sich zu mir um: »Ich hab den anderen zugehört und dabei immer gedacht, dass es für mich anders ist. Also, ich hatte irgendwie das Gefühl, dass Ingrid und ich … dass irgendwas irgendwann mit uns passieren würde. Ich habe dauernd an sie gedacht. Ehrlich:
dauernd.
Sie war einfach unglaublich. Ich war mir
sicher
, dass wir irgendwann zusammenkommen würden. Und dann ist Ingrid plötzlich
tot
. Und alle haben über sie geredet, und ich hätte am liebsten allen gesagt, dass es für mich etwas anderes ist, aber das war natürlich blöd. Das stand mir gar nicht zu. Ich hab sie nicht mal gut gekannt.«
    Ich denke, wenn mir jetzt der richtige Satz einfiele, würde es ihm viel bessergehen. Ich denke an mich, an all das, was ich so dringend hören möchte, und dann an Dylan und wie es war, wenn ich mir ihr geredet habe. Vielleicht kann man gar nichts Richtiges sagen. Vielleicht ist ›das Richtige‹ ein Mythos, vielleicht existiert es gar nicht.
    Ich lehne das Rad an das Kassenhäuschen und laufe um das Gebäude herum, Jayson folgt mir. An der Rückseite versuche ich zum x-ten Mal die Hintertür zu öffnen, aber der alte Messingknauf lässt sich immer noch nicht drehen. Ich probiere es auch an dem schmalen Fenster. Total verriegelt.
    Auf der Erde liegt ein Stein, so groß wie meine Faust.
    »Was machst du da?«, fragt Jayson.
    Was
mache
ich?
    Ich sehe ihn an und zucke die Achseln.
    Dann schlage ich das Fenster ein. Die Scheibe zersplittert, und ein Splitter bohrt sich in meine Fingerspitze.
    »Scheiße!« Ich ziehe ihn raus, es fängt an zu bluten, und ich stecke den Finger in den Mund.
    Jayson schaut mich an, als wäre ich verrückt.
    »Wart mal.« Ich trete den Rest der Scheibe ein und ziehe den Vorhang zur Seite. Dann steige ich ein und weiche den verbliebenen Glassplittern vorsichtig aus.
    Drinnen ist es kühl und dunkel. Es riecht muffig und vertraut, wie in der Garage meiner Großeltern. Ich bleibe kurz stehen und warte, bis sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt haben. Als ich genug erkennen kann, versuche ich die Tür von innen zu öffnen, aber sie ist verschlossen. Ich gehe zurück ans Fenster.
    »Ich krieg die Tür nicht auf. Du musst auch hier durch.«
    Jayson zögert, aber dann schwingt er doch ein Bein über das Fenstersims. Wir stehen nebeneinander und schauen uns um. Es ist ein kleines Zimmer mit einer zerschlissenen Couch, ein paar Garderobenstangen und einem Kleiderbügel. An einer Wand lehnt eine Leiter.
    »Das war wohl der Aufenthaltsraum für das Personal«, sagt Jayson.
    Vom Aufenthaltsraum kommt man in das Foyer und zum leeren Kiosk. Die Decke ist höher, als ich es mir vorgestellt habe, der staubige Boden ist gold, grün und blau gefliest, und die Türen zum Zuschauerraum sind weitgeöffnet, als würde gleich ein Film anfangen.
    Jayson und ich gehen in den Kinosaal und blicken auf die Reihen leerer roter Samtsessel und die leere Leinwand.
    »Ingrid und ich sind oft hierhergekommen«, sage ich. »Es war unser Lieblingsplatz.«
    Jayson wendet sich mir zu. »Ihr habt hier immer rumgehangen?«
    Ich nicke.
    »Was für ein Zufall. Ich jogge jeden Abend und komme hier oft vorbei. Ich fand das Gebäude immer total cool. Und ich hab mir immer

Weitere Kostenlose Bücher