Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser
Okello und seine Truppe vertrieben und ermordeten binnen weniger Tage Tausende Araber und Inder. Diese waren oftmals Geschäftsleute und besaßen die größten Vermögen auf Sansibar.
Es war ein riesiges Massaker im Januar 1964, der damalige Außenminister des Sultans, Ali Muhsin al-Barwani, nannte es den »sansibarischen Holocaust«. Genaue Zahlen gibt es bis heute nicht, britische Historiker gehen von bis zu 7000 Toten aus, al-Barwani spricht von 13.000 Toten und 26.000 Inhaftierten. Die Flüchtlinge, die infolge der Revolution die Insel verließen, schätzt er auf 100.000.
Seif Nassor versuchte, den Malindi Sports Club zusammenzuhalten während der Unruhen. Er beschwor seine Mitspieler, die Aufständischen könnten sich nicht lange halten, niemals. »Bleibt, lasst Malindi nicht sterben!«, rief er durch die Lobby des Hotels Narrow Street in Stone Town. Dort trafen sie sich in jenen Tagen, nicht im Vereinsheim, es hätte ein leichtes Ziel der Revolutionäre sein können, denn jeder in der Stadt wusste um die Wurzeln des Klubs, um Arab Sports.
Nassor konnte seine Mitspieler nicht umstimmen. Wie auch, er
war ja selbst ein Schwankender. Er hatte überlegt, in den Oman zu gehen, Lehrer konnten sie auch da gebrauchen, und seine Großcousins hätten ihn erst mal aufgenommen. Nassor blieb, eine Bauchentscheidung.
»Ich hatte Glück, ich habe keine Schramme abbekommen während der Revolution«, sagt er. »Trotzdem hat sie mein Leben verändert. Ich glaube nicht mehr daran, dass wir Afrikaner lernen wollen. Wir lernen fleißig in der Schule, das schon. Aber wollen wir wirklich aus der Geschichte lernen? Aus dem Kolonialismus? Aus der Sklaverei? Wollen wir nicht, und deshalb fangen wir immer wieder bei null an.«
Draußen wird es dunkel, ganz plötzlich, hier auf Sansibar, in der Nähe des Äquators, fällt die Sonne vom Firmament. Um sechs dämmert es, um sieben ist der Himmel schwarz. Seif Nassor scheint es an diesem Abend nicht zu bemerken, er schaltet das Licht nicht ein, er erzählt jetzt vom Sklavenhandel auf Sansibar, den er die »Ursünde« nennt.
Im 19. Jahrhundert war die Insel der weltgrößte Handelsplatz für Sklaven; bis zu 20.000 Menschen wurden jährlich vom ostafrikanischen Festland auf die Insel gebracht, um weiterverkauft zu werden, vor allem nach Persien, Arabien und Nordwestindien. Sie wurden zu Hunderten in Holzboote gezwängt, die Wochen brauchten, um ihr Ziel zu erreichen. Der englische Missionar Horace Waller schrieb über die Sklavenhändler: »Es ist, als würden sie in der Hitze einen großen Eisblock nach London schicken. Der Großteil schmilzt, aber was übrig bleibt, genügt ihnen.«
Nassor sagt, jedes Kind in seiner Generation habe gewusst vom grausamen Menschentreiben auf Sansibar, das zwar 1873 von den
Briten verboten wurde, aber erst 1897 endete. Alle hätten das Wohnhaus gekannt von Hamed bin Juma al-Murjabi, des größten Sklavenhändlers auf der Insel. Und den Kerker in der Nähe der Church of Christ. Und den Darajani-Market, früher zentraler Umschlagplatz für Sklaven. »Und trotzdem«, sagt Nassor. »Es waren Männer meiner Generation, geboren in den Dreißigern, die 1964 ihre eigenen Landsleute niedermetzelten. Eine Schande für Afrika. Und wir schimpfen auf die Weißen? Ja? Haben wir noch ein Recht dazu?«
Er hört seinen Worten nach. Er ist müde, es kostet ihn viel Kraft, über die Revolution zu sprechen. Seine Mannschaft zerbrach in jenem Jahr, und je mehr Mitspieler den Verein verließen, desto verzweifelter versuchte Nassor zu bewahren, was längst verloren war. John Okello, der sich nur knapp drei Wochen an der Macht halten konnte - er hatte Malindi zerstört. Auf Jahre.
Nassor glaubte, seine Kameraden kämen zurück aus ihrem Exil, wenn erst wieder Frieden einkehren würde. Am 26. April 1964 vereinigte sich Sansibar mit Tanganyika, das in 35 Kilometer Entfernung auf dem Festland lag, zur Republik Tansania. Der Sozialist Abeid Amani Karume wurde Präsident des Bundesstaates Sansibar, und die Lage beruhigte sich. Zum Malindi Sports Club jedoch kam niemand zurück. Nassor hoffte und spielte weiter, halb blind auf einem Auge. Im Jahr der Revolution hatte er einen Ball ins Gesicht bekommen, das rechte Auge lief schwarz an vor Blut, Nassor hätte operiert werden müssen, aber er konnte die 200 Dollar für den Arzt in Dar es Salaam nicht zahlen.
1974 hörte Nassor auf, mit 38 Jahren. Zum Ende seiner Karriere war Malindi nur noch ein Hobby gewesen, eine Spielerei mit neuen
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