Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser
Zuschauer entschieden, wer der Sieger ist«, sagt Nassor. »Den meisten Applaus bekam die Mannschaft, die die tollsten Kunststücke zeigte.«
Sie ließen sich das schöne Spiel nicht nehmen von den Briten, deren Teams einer kühlen Taktik folgten, immer auf das Ergebnis bedacht. Malindi hingegen feierte Fußball, es liebte Schnörkel und Zierrat, und es war jedes Mal ein Triumph für ganz Sansibar, ein Moment diebischer Freude, wenn der Klub um seinen Star Seif Nassor es den weißen Gebietern wieder mal gezeigt hatte.
Meistermannschaft des Malindi SC 1959, Seif Nassor, 2.v.r., stehend
Die Briten hielten solche Niederlagen für Zufall, für eine Laune des Schicksals. Sie glaubten, dass die Insulaner das Spiel nicht wirklich begriffen hätten. Wo war denn da eine Ordnung zu erkennen? Wo eine Strategie? Schon Ende der Zwanzigerjahre meinten sie, dass die Afrikaner im Prinzip zu dumm seien für guten Fußball, das Sports Control Board stellte einen »grundlegenden Mangel an Verständnis« fest. Als es Anfang der Dreißiger immer wieder zu Protesten gegen Schiedsrichterentscheidungen und sogar zu Spielboykotten kommt, deuteten die Kolonialherren dies als Bildungsproblem. Dass sich die Afrikaner zur Wehr setzen wollten gegen die Willkür der Referees, die ausnahmslos Briten waren, dass sie aufbegehrten gegen Gängelung und Bevormundung - das wollten die Herrscher nicht erkennen. Sie schrieben stattdessen Lehrbücher auf Swahili und erfanden Übersetzungen für Begriffe wie Elfmeter, den sie adhabu ya eneo nannten.
Das sei das Schlimmste gewesen, sagt Seif Nassor, und er schlägt mit der flachen Hand auf die Stuhllehne: »Dass die Briten versuchten, unsere Sprache zu vergewaltigen. Dass sie uns Vokabeln lernen lassen wollten, in unserer eigenen Muttersprache. Gibt es eine größere Demütigung? Für wie primitiv, für wie untertänig müssen sie uns gehalten haben?«
Der Historiker und Pädagoge Dickson Mungazi, geboren in Simbabwe, unterscheidet vier Phasen in der Beziehung zwischen Europäern und Afrikanern. Phase eins findet im Zeitalter der Aufklärung statt. Führende europäische Denker bescheinigen den Afrikanern ein unterlegenes intellektuelles Potenzial. Immanuel Kant etwa schrieb: »Die Negers von Afrika haben von der Natur aus kein Gefühl, welches über das Läppische stiege.«
In Phase zwei machen sich europäische Großmächte diese herabwürdigende Sicht zunutze. Sie behaupten, dass den Afrikanern nur zu helfen sei, wenn sie dem kultivierten Abendland unterworfen werden würden. Es ist die moralische Rechtfertigung einer Politik, die knechtet, ausbeutet und diskriminiert, jedoch vorgibt zu lehren: Christlichkeit, Anstand und Benehmen.
Phase drei steht für das Ende des Kolonialismus. Den Europäern wird ihr Größenwahn zum Verhängnis. Sie unterschätzen die Intelligenz und Kraft der Afrikaner, die sich ihre Freiheit nur deshalb erkämpfen konnten, weil die Besatzer sie nicht ernst nahmen.
Phase vier bezeichnet die Phase des Selbstbetrugs. Von der Fremdherrschaft befreit, handeln die neuen afrikanischen Eliten menschenverachtender und brutaler, als es ihre Besatzer jemals taten. Das Potenzial des Kontinents wird vernichtet, von Ein-Parteien-Regierungen, von Diktatoren, von Militärs.
Das schreibt Dickson Mungazi in seinem Buch »The Mind of Black Africa«. Ihm hätte Sansibar als Vorbild dienen können.
Die Arroganz der Briten, ihre Herrenrassen-Ideologie, ihre muscular christanity , die zum Gottesauftrag erklärte, was Entrechtung und Demütigung war - mehr als siebzig Jahre war die Insel gefangen in Phase zwei, dem Kolonialismus. Er endete am 10. Dezember 1963. Sansibar wurde als konstitutionelle Monarchie aus dem britischen Protektorat entlassen, neuer Machthaber war Sultan Jamshid, ein Araber.
Es ging dann rasend schnell, schon einen Monat später folgte Phase vier. Der Selbstbetrug. Unmöglich nun, eindeutig zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden, hier Weiß und dort Schwarz,
die Trennlinien verlaufen quer auf Sansibar. Spätestens seit dem Abend des 11. Januar 1964.
Der Gelegenheitsarbeiter John Okello, ein Schwarzafrikaner aus Uganda, stürmte mit dreihundert Männern den Regierungssitz des Sultans und rief sich zum »Feldmarschall von Sansibar und Pemba« aus. In seiner ersten Radioansprache drohte er: »An alle jungen Araber in Malindi! Ich werde durch Malindi gehen, mit Waffen, die allein ich kenne. Ich will alle auf dem Boden liegen sehen, ausgezogen bis auf die Unterhosen.«
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