Ich werde rennen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weisser
Trainer. Ich bin mit Asante Kotoko noch mal afrikanischer Champions-League-Sieger geworden, ich habe mit Africa Sports aus Abidjan, Elfenbeinküste, den Supercup gewonnen und den FC 105 Libreville aus Gabun bis ins Halbfinale der Champions League geführt. Zurzeit leite ich die MTN-Fußballakademie in Accra. Deutschland hat mich zerstört als Spieler und groß gemacht als Trainer.
Ich weiß nicht, soll ich dafür dankbar sein?
Ojokojo Torunarigha, 40
Lagos, Nigeria
Chemnitzer FC (1990-1995)
77 Spiele, 5 Tore
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OJOKOJO TORUNARIGHA
»ICH WURDE GELIEBT ALS FUSSBALLER UND ABGELEHNT ALS MENSCH«
Ojokojo Torunarigha, geboren in Lagos, Nigeria, wollte nach Deutschland. In das Deutschland, das er aus der Schule, aus dem Fernsehen und aus den Schwärmereien seiner Freunde kannte. Als er im Frühjahr 1990 am Frankfurter Flughafen ankommt, holt Manfred Höner ihn ab. Höner betreute Ende der Achtzigerjahre für kurze Zeit die nigerianische Nationalmannschaft. Er hatte Torunarigha nach Deutschland gelockt, er hatte ihn in den Himmel gehoben mit Worten, ihm geschmeichelt, er hatte gesagt: »Du hast das Zeug, um ein ganz Großer zu werden. Ich mache aus dir einen Bundesligastar.«
In Deutschland hat Höner jedoch wenig Zeit für sein Jahrhunderttalent. Die Begrüßung am Flughafen Frankfurt ist zugleich ein Abschied. Höner entschuldigt sich, er müsse kurzfristig nach Tunesien, und bringt Torunarigha nach Linz am Rhein, zu Willi Hoppen, einem Spielervermittler, Branchenname »die Ratte«. Hoppen will sofort aufbrechen. »Kleine Tour«, sagt er. Sie fahren Stunden in Hoppens Wagen, und Torunarigha, der einen Nachtflug in den Knochen hat, schläft ein. In Chemnitz, das damals noch Karl-Marx-Stadt hieß, weckt Hoppen ihn.
Torunarigha schaut aus dem Fenster, er sieht Plattenbauten, er sieht
Fabrikruinen, er schreit: »Wo hast du mich hingebracht? Nach Russland? Ich will nach Deutschland! Höner hat mir Deutschland versprochen!« Hoppen sagt: »Mach erst mal ein Probetraining. Wenn sie dich nicht nehmen, können wir’s ja immer noch im Westen probieren.«
Sie nehmen ihn. Ojokojo Torunarigha, 20, Stürmer, nigerianischer Nationalspieler, ist der erste Schwarzafrikaner, der nach dem Mauerfall zu einem Profiklub in den neuen Bundesländern wechselt. Er unterschreibt beim FC Karl-Marx-Stadt, den Hans Meyer trainiert. Torunarigha wird zunächst an den Chemnitzer SV verliehen und spielt eine Saison in der DDR-Liga. Nach seiner Rückkehr bestreitet er für den nun in Chemnitzer FC umbenannten FC Karl-Marx-Stadt 77 Zweitligapartien und erzielt fünf Tore. 1995 geht Torunarigha zu Borussia Neunkirchen und 1997 zu Sachsen Leipzig, beides Drittligisten. Seine Familie bleibt die ganze Zeit in Chemnitz, Torunarigha besucht sie, so oft er kann. 2006 zieht er mit seiner Frau und seinen drei Kindern nach Berlin-Spandau. Junior, 19, und Jordan, 12, spielen heute in Nachwuchsmannschaften von Hertha BSC. Torunarigha, 40, arbeitet für den Klub als Juniorentrainer.
Herr Torunarigha, wenn ein junger Fußballer aus Afrika Sie heute fragen würde, ob er nach Deutschland gehen soll - was würden Sie ihm raten?
Ich würde sagen: Tu es, aber wirf deine Träume weg. Glaub nicht, dass hier jemand auf dich wartet. Glaub nicht, dass es reicht, ein guter Fußballer zu sein. Du musst Menschen haben, die dich beschützen. Du musst einen Trainer haben, der geduldig ist. Du musst gesund bleiben. Du musst also verdammt viel Glück haben, um es hier zu packen.
Und auch ein dickes Fell? Sie sind wegen Ihrer Hautfarbe beleidigt worden auf dem Fußballplatz, über Jahre.
Im Osten muss man einstecken können als Schwarzer. Ich habe 16 Jahre in Chemnitz gelebt, und bis zum Schluss hat es nicht aufgehört mit Diskriminierungen und mit Angriffen auf mich. Natürlich waren das einzelne Idioten, die »Heil Hitler!« oder »Neger raus!« gerufen haben. Aber das ist kein Trost, denn mit der Zeit wächst das Gefühl in einem, dass man nicht gewollt ist. Du kannst dir tausendmal sagen: Die meisten Leute sind okay, und manchmal glaubst du auch ein paar Wochen daran, weil nichts passiert. Und dann kommt wieder so ein Depp und will dich schlagen, und alles ist kaputt.
Sie nennen sie Deppen - was waren das für Menschen?
Nicht nur Neonazis. Nicht nur Rechte mit Bomberjacken und Springerstiefeln. Manchmal haben sogenannte normale Leute auf mich Jagd gemacht, nichts hat darauf
hingedeutet, dass sie Ausländer hassen. 2002 beim Stadtfest sind zehn Leute hinter mir
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