Ich will doch nur küssen
Wunder, dass Faith einen panischen Anruf von ihrer Mutter erhalten hatte. Er musste jetzt erst einmal Tess abholen, aber er machte sich Sorgen um Faith, genau wie Rosalita, die Faith wie eine Tochter liebte. Er versprach seiner Haushälterin, sich um Faith zu kümmern, dann verließ Ethan das Haus und machte sich auf den Weg zu seinem Bruder am anderen Ende der Stadt.
Auf der Fahrt rief er Faith mehrfach auf dem Handy an, erreichte aber immer nur den Anrufbeantworter. Schließlich warf er das Handtuch und hinterließ ihr eine Nachricht, in der er sie bat, ihn möglichst bald zurückzurufen.
Nash lebte in einer erst kürzlich erbauten Wohnsiedlung am Stadtrand. Als Ethan parkte, bemerkte er Dares Polizeiauto.
Seine Nerven waren bereits reichlich angespannt, als er an der Tür klingelte, die sogleich von Tess aufgerissen wurde. »Gott sei Dank bist du da, um mich zu retten!«
Er grinste, einigermaßen erleichtert über ihre Begrüßung, obwohl er nicht wusste, was ihn vonseiten seiner Brüder erwartete. »Hey, Kleine. Hast du mich vermisst?«
Sie verdrehte entnervt die Augen, warf ihm aber wenigstens keine Beleidigungen an den Kopf.
»Willst du frühstücken? Es gibt noch ein paar Bagels«, sagte sie und zog ihn hinter sich her in die Küche.
Wie es aussah, hatte sie gemütlich mit seinen Brüdern gefrühstückt, die ihn offenbar absichtlich nicht informiert hatten. Er fühlte sich ausgegrenzt.
Ethan atmete tief durch, schob den schmerzlichen Gedanken in eine Ecke seines Gehirns, die er schon vor Jahren extra dafür geschaffen hatte, und betrat den Raum. »Guten Morgen.«
»Willst du einen Bagel?«, fragte Tess erneut.
»Nein, danke.« Ethan biss die Zähne zusammen. »Können wir fahren?«
»Ich muss nur noch meine Sachen holen.« Sie galoppierte aus der Küche.
»Sieht ja ganz danach aus, als hätte sie den Aufenthalt hier genossen.« Hoffentlich beeilte sich die Kleine, damit er schleunigst einen Abgang machen konnte.
»Ja, das hat sie.« Zu Ethans Überraschung stand Dare auf und streckte ihm die Hand hin. »Wie ich höre, möchtest du sie auf eine Privatschule schicken.«
Ethan kannte seinen Bruder nicht gut genug, um seine Ansichten in dieser Angelegenheit einschätzen zu können. Nash hatte bereits widerwillig seine Zustimmung kundgetan, und Ethan fragte sich, ob das automatisch hieß, dass Dare ebenfalls einverstanden war.
»Ich möchte, dass sie einen Kurs bei einem der besten Kunstlehrer des Landes macht. Danach können wir uns darüber unterhalten, ob sie auf diese Schule gehen will.« Ethan vergrub die Hände in den Hosentaschen.
Dare nickte. »Ich halte das für eine gute Idee. Sie interessiert sich offensichtlich fürs Zeichnen, sonst würde sie nicht ständig ihren Block mit sich herumschleppen.«
»Hat sie dir ihre Werke gezeigt?«, wollte Ethan wissen.
»Nein. Sie gibt ihn nicht so leicht aus der Hand.« Dare lachte.
»Und dir?«, fragte Ethan seinen anderen Bruder, der bis jetzt kein Wort gesagt hatte. Was nicht sonderlich überraschend war, da er offensichtlich einen größeren Groll gegen Ethan hegte als Dare.
»Nein, mir auch nicht.« Nash schüttelte den Kopf, und Ethan verspürte eine sehr unbrüderliche Erleichterung. Ja, es war ihm wichtig, dass Tess auch zu Dare und Nash ein gutes Verhältnis hatte, doch die Tatsache, dass sie bislang nur ihm ihre Zeichnungen gezeigt hatte, bereitete ihm eine gewisse Genugtuung, auf die er weiß Gott nicht stolz war, aber er konnte nicht anders.
Es lag wohl daran, dass Nash ihn so behandelte, als wäre er noch immer derselbe egoistische, durchgedrehte Achtzehnjährige, der seine Brüder im Stich gelassen hatte. Zugegeben, er hatte zu lange gebraucht, um erwachsen zu werden, aber jetzt war er es doch, und er hatte die Nase gestrichen voll davon, sich immer wieder für die Vergangenheit entschuldigen zu müssen, die er nicht mehr ändern konnte. Er konnte nur die Zukunft beeinflussen, und mittlerweile wusste er, wer und was ihm etwas bedeutete.
»Wenn ihr Tess’ Arbeiten seht, werdet ihr verstehen, warum ich möchte, dass sie diese Möglichkeit erhält«, sagte Ethan.
»Sie hat noch nicht so richtig Vertrauen zu mir gefasst«, gab Nash zu.
Das wundert mich nicht , dachte Ethan. Obwohl sein mittlerer Bruder den besseren Pflegeplatz abbekommen hatte, war er seinen Mitmenschen und dem Leben gegenüber überwiegend negativ eingestellt.
Vor Tess’ Menschenkenntnis konnte man nur den Hut ziehen.
»Ich nehme an, du weißt von dem Interview
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