Ich will doch nur küssen
Familie ist. Dass wir das Beste sind, was ihr passieren konnte.« Ethan stieß ein sarkastisches Lachen hervor. Eine ziemlich erbärmliche Vorstellung. »Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Die Therapeutin hat vorgeschlagen, dass wir einige Regeln aufstellen, damit wir alle wissen, was wir voneinander erwarten können und was nicht.«
»Na toll«, murrte Dare.
Ethan kniff die Augen zusammen. »Auch wenn du mich nicht leiden kannst, aber jetzt müssen wir zusammenhalten. Wenn du mich vor Tess wie Dreck behandelst, dann glaubt sie, dass sie dasselbe tun kann. Und umgekehrt.«
»Ist das irgendein Therapeutengefasel, oder bist du da von selbst draufgekommen?«, fragte Nash.
Ethan biss die Zähne zusammen und zählte leise bis fünf. »Sowohl als auch. In den letzten drei Wochen war ich der Erwachsene in Tess’ Leben. Es ist Zeit, dass wir in dieser Angelegenheit an einem Strang ziehen.«
»Was schwebt dir vor?«, fragte Nash in einem etwas versöhnlicheren Tonfall.
Ethan hallten immer noch die Worte seiner Brüder in den Ohren, so voller Wut und Wahrheit, aber er musste dafür sorgen, dass sie zusammenhielten, wie die Therapeutin gesagt hatte. »Ich hatte gehofft, wir könnten ein paarmal die Woche gemeinsam zu Abend essen. Wir sollten Tess zeigen, dass wir für sie da sind und dass sie auf uns zählen kann. Seid ihr beide dazu bereit?«, fragte er.
Zu seiner Überraschung nickten beide.
»Ich bin dabei. Nenn mir einfach die Tage«, sagte Dare. »Es tummeln sich viel zu viele Kinder aus prekären Verhältnissen bei uns auf der Polizeiwache und im Jugendzentrum.«
Ethan stockte beinahe der Atem, als er daran dachte, dass Dare aus eigener Erfahrung wusste, wie es war, ohne ein festes Familiengefüge aufzuwachsen. Ethans Mund war ganz trocken. »Rosalita hat montags frei. Was haltet ihr von Dienstag, Mittwoch und Donnerstag?«, presste er mühsam hervor.
»Geht in Ordnung«, sagte Nash.
»Für mich auch«, fügte Dare hinzu.
»Ich kann sie nächste Woche mal zur Arbeit mitnehmen und mit ihr eine Führung durchs Bezirksgefängnis machen, um ihr zu zeigen, wie es in einer Jugendstrafanstalt zugeht«, bot Dare an. Dann hielt er inne. »Es sei denn, du möchtest eine Insiderführung mit ihr machen?« Kaum waren die Worte heraus, senkte er kopfschüttelnd das Haupt. »Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich mir die Sticheleien abgewöhnt habe«, murmelte er.
Ethan ging gar nicht darauf ein. Er hatte heute schon so viel eingesteckt, da machten ein paar weitere Schläge das Kraut auch nicht mehr fett. »Ich lasse mir von Kate das Programm des Jugendzentrums geben, dann können wir die Termine abstimmen.«
Dare nickte. »Gut.«
Nash hob eine Hand. »Ich könnte morgen mit ihr zum Straßenmarkt gehen, und danach kann sie bei uns essen. Und vielleicht finde ich in der Kanzlei ja eine Beschäftigung für sie, für die Zeit, in der sie nicht im Jugendzentrum ist. Sie könnte Dokumente ablegen oder so.«
Ethan war für ihre Vorschläge dankbar, behielt es jedoch für sich. Seine Meinung war ihnen ohnehin egal, und außerdem ging es hier in erster Linie um Tess. »Es ist bestimmt ganz gut, wenn Tess eine Gelegenheit bekommt, euch einzeln etwas besser kennenzulernen.«
»Sie kann auch bei uns übernachten«, sagte Nash, und Dare nickte zustimmend.
»Mal sehen, ob sie das möchte, aber ich habe nichts dagegen«, sagte Ethan vorsichtig.
Und so gingen die Verhandlungen weiter. Sie arbeiteten gemeinsam eine Art Wochenplan aus, hielten sämtliche Termine schriftlich fest und einigten sich darauf, den Plan bei Bedarf in ein paar Wochen zu überarbeiten. Was die Schule anging, hatte Kate bereits versprochen, ihnen die Einschreibemodalitäten zu erläutern. Ende August, wenn Tess’ Schwester Kelly zurückkam, konnten sie sich dann zu viert überlegen, wie es in Zukunft mit Tess weitergehen sollte.
Für den Augenblick hatten sie getan, was sie konnten – und sie hatten mehr Zeit miteinander verbracht, als ihnen allen lieb war. Mehr, als sie aushalten konnten, dachte Ethan.
Nachdem seine Brüder gegangen waren, stand Ethan noch eine ganze Weile untätig in der Küche herum. Er hatte sich nicht mehr so verlassen und verloren gefühlt, seit er damals mit achtzehn von zu Hause abgehauen war.
Dann kam Rosalita schwer keuchend ins Zimmer gelaufen. »Mr. Ethan! Miss Tess ist weg! Ich dachte, sie ist in ihrem Zimmer, aber dort ist sie nicht!«
Ethan fuhr sich mit zitternder Hand durchs Haar. »Haben Sie draußen
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