Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman
zusammengehören? Kann ich noch hier auf meinem Platz sitzen wie immer? Keine Ahnung. Aber ich will es auch gar nicht wissen. Ich will nicht darüber nachdenken.
Einen Moment überlege ich, einen neuen Brief zu schreiben, dass mir wirklich leid tut, was passiert ist, aber dann lasse ich es. Ich habe mich schon bei ihr entschuldigt. Warum soll immer ich angekrochen kommen, wenn wir uns gestritten haben? Nicht, dass wir uns oft gestritten hätten, aber hin und wieder kam das im Laufe der Jahre schon vor. Und jedes Mal war ich diejenige, die angekrochen kam, bis Tonja mich in Gnaden wieder aufgenommen hat. Immer habe ich als Erste klein beigegeben, weil ich es nicht ohne Tonja aushalte.
Tut mir leid, Tonja, dass ich nicht so perfekt bin wie du! Tut mir leid, dass ich Fehler mache. Gewöhnliche Menschen machen Fehler. Du natürlich nicht. Nicht die unfehlbare, großartige, gerechte und verständige Tonja Källberg.
Britt hat eine untrügliche Nase für Tagträumer. Sie entdeckt jeden in Gedanken versunkenen Schüler sofort und schießt eine Frage auf ihn ab. Aber heute habe ich mehr Glück, als ich verdiene, denn plötzlich ist die Stunde vorbei, von der ich nur sehr vage etwas mitbekommen habe.
Silja holt mich auf dem Flur ein. Mit ihr durch die Schule zu laufen ist wahrscheinlich so gesund wie ein Sonntagsspaziergang über ein Minenfeld, aber ich freue mich trotzdem. Ich begleite sie zu ihrem Schließfach und warte dort, bis Tonja ihre Unterlagen verstaut hat und wieder weg ist, bevor ich zu meinem Fach gehe. Als ich mich umdrehe, steht Silja mit Sven und Leo vor mir. Sind wir jetzt das neue Quartett? Geht das so schnell?
Wir sind auf dem Weg zur nächsten Unterrichtsstunde, als Lovisas Stimme hinter uns ertönt.
»Da kommt ja unser kleines, todesmutiges Rettungsboot!«, sagt sie höhnisch.
Offenbar war Line auch gerade auf dem Weg in die Klasse, wie immer in Siljas Nähe, aber jetzt haben Lovisa, Emelie und Clara sich in einer Reihe zwischen sie und uns geschoben. Line steht abwartend da, ohne etwas zu sagen. Lovisa, Emelie und Clara haben uns ihre Rücken zugewandt. Ich werfe Silja einen nervösen Blick zu und wünsche mich ganz weit weg. Jetzt muss Line offenbar dafür büßen, dass sie letzten Freitag das Komplott gegen Silja vereitelt hat.
Clara und Lovisa gehen zu Line, während Emelie stehen bleibt und zusieht, wie Clara Line die Bücher aus der Hand schnappt.
»Die brauchst du doch nicht«, sagt sie. »Du bist auch so schon schlau genug.«
Line weicht ein paar Schritt nach hinten aus, aber Lovisa folgt ihr und nimmt ihr das blaue Federmäppchen weg, lässt es auf den Boden fallen und stellt den Fuß drauf.
»Und das hier auch nicht, oder?«, sagt sie und verlagert ihr Gewicht, dreht die Ferse hin und her, bis es unter der Sohle knirscht und knackt.
Da stürmt Silja los und schubst Lovisa gegen den Brustkorb.
»Verdammt, was soll das, ihr hirntoten Landeier!«, sagt sie wutentbrannt.
Lovisa taumelt rückwärts gegen die Schrankreihe der Siebtklässler, gewinnt aber die Balance wieder. Emelie stellt sich vor Silja und sieht ihr tief in die Augen.
»Das war sehr unklug von dir«, sagt sie. »Sehr unklug. Misch dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen. Um dich kümmern wir uns auch noch, keine Sorge!«
Silja ballt die Hände zu Fäusten, und einen Augenblick sieht es so aus, als wollte sie zuschlagen, aber Sven kommt ihr zuvor.
»Beruhigt euch, Mädels!«, sagt er.
Jetzt richtet Emelie ihren schwarz umrahmten Blick auf ihn. »Sorry, Hübscher, aber in diesem Rennen hast du aufs falsche Pferd gesetzt. So kann’s gehen, wenn man mit dem Schwanz denkt.«
»Hör schon auf, Em!« Sven lacht. »Silja ist in Ordnung. Lass sie in Ruhe.«
Er scheint wirklich zu glauben, dass man Emelie mit Worten zur Vernunft bringen kann. Dass er die Macht hat, ihr zu sagen, was sie tun oder lassen soll. Wäre ich nicht vor Schreck wie gelähmt, fände ich das Ganze äußerst faszinierend. An Selbstbewusstsein mangelt es Sven zwar nicht, aber er hat nicht Emelies scharfe Zunge. Sie macht einen Schritt auf ihn zu, bis sie ganz dicht vor ihm steht, und sieht ihm ins Gesicht, als ob sie ihn küssen wollte.
»Silja wird noch bereuen, dass sie geboren wurde«, sagt sie mit samtweicher Stimme. »Wenn ich mit ihr fertig bin, wird sie in die Gebärmutter ihrer toten Mutter zurückkriechen wollen. Und wer weiß, vielleicht willst du sie ja begleiten?«
Damit macht sie auf dem Absatz kehrt und tritt ab. Lovisa schaut
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