Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman
lackiert.
»Stimmt es, dass du das Fest mit Emil verlassen hast?«, frage ich.
Silja lächelt. »Ja. Wir sind zu ihm gegangen.«
Zum ihm nach Hause? Ich sehe sie an. Nimmt sie mich auf den Arm? Scheint nicht so.
»Ernsthaft?«, frage ich trotzdem.
Sie nickt. »Er hatte ziemlich viel getrunken. Aber er war trotzdem total süß.«
»Aber … Was habt ihr gemacht?«
Siljas Augen glitzern.
»Was glaubst du wohl?«, fragt sie amüsiert.
Ich wundere mich, dass mich das so plättet. Und geplättet bin ich, fast ein bisschen schockiert.
»Du bist ja verrückt«, sage ich.
»Warum? Findest du nicht, dass er saugut aussieht? Wie ein Hollywoodstar. Und er ist echt nett und süß. Warum also nicht?«
»Kriegt er keine Probleme, wenn das rauskommt?«
»Und warum sollte das rauskommen?«
»Jetzt zum Beispiel weiß ich es.«
»Und gehst du zum Rektor und erzählst es ihm?«
»Nein, natürlich nicht!«
»Na also.«
Aha. Na also. Komplizierter ist das offensichtlich nicht für Silja. Man tut, wozu man gerade Lust hat, was einem gerade in den Sinn kommt. Ich denke an Emil. Er ist noch kein fertiger Lehrer, aber er ist erwachsen. Ein ziemlich junger Erwachsener, klar, aber trotzdem.
»Und jetzt?«, frage ich. »Wollt ihr euch weiter treffen? Oder war das nur ein One-Night-Stand?«
Silja lacht.
»Das weiß ich nicht«, sagt sie. »Wir haben keinen Vertrag unterschrieben.«
Am Ende der Nachmittagspause merke ich plötzlich, dass ich mein Handy nicht dabeihabe. Ich gehe zurück durch den Flur und gucke in der Klasse nach, wo wir zuletzt Spanisch hatten, kann das Handy aber nicht finden. Ich hab es erst vor wenigen Monaten von Mama und Papa zum Geburtstag bekommen, ein recht teures Modell. Und jetzt muss ich ihnen womöglich beichten, dass ich es verloren habe.
Aber unmittelbar vor der letzten Stunde kommt Camilla zu mir.
»Ist das deins?«, fragt sie. »Ich hab es auf dem Boden im Schulflur gefunden.«
Ich sehe sie überrascht an und schließe die Finger mit einem erleichterten Seufzer um das Gerät. »Danke! In welchem Flur? Ich habe überall danach gesucht!«
Camillas Blick flackert unsicher. »Ähm … Vor der Spanischklasse, glaube ich.«
»Komisch«, sage ich. »Da hab ich auch nachgeguckt. Offenbar hab ich’s übersehen. Tausend Dank!«
Ich bin so froh, dass Handy wiederzuhaben, dass ich eine kurze Versöhnungs-SMS an Tonja schicke, obwohl ich beschlossen habe, dieses Mal nicht zu Kreuze zu kriechen. Sie sitzt auf dem Platz neben mir und liest sie, antwortet aber nicht.
Das ist mies, nicht zu antworten.
Eins von Tonjas Mottos ist, lieber nichts zu sagen, wenn man nichts Positives zu sagen hat. Aber da bin ich nicht ihrer Meinung. Einfach zu schweigen ist gemein. Das ist herablassend. Als wäre man den Gedanken nicht wert.
Ich gebe Tonjas Nummer noch einmal ein und schreibe »Zicke!«, schicke es aber nicht ab. Ich gucke mir das Wort eine Weile auf dem Display an, ehe ich es lösche. Wenn ich so eine SMS abschicke, verspiele ich auch noch die letzte Chance auf Versöhnung.
Wenn es dafür nicht ohnehin zu spät ist.
Mama ist zu Hause, als ich in die Wohnung komme. Sie liegt unter dem karierten Plaid auf dem Sofa, den Unterarm über der Stirn. Ihr Hals sieht so weiß und zart aus und in der Luft hängen noch die Schatten der gestrigen Auseinandersetzung. So vieles, was unerwartet herausgekommen ist. Alle die Worte, die sich mit einem Mal gelöst haben und mit spitzen Flügeln im Raum herumgeflattert sind und alte und neue Wunden aufgerissen haben.
»Bist du krank?«, frage ich vorsichtig.
Sie hebt den Arm und sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Oh, hallo … nein, ich hab nur Kopfschmerzen. Bin etwas früher von der Arbeit nach Hause gegangen.«
»Das gestern … tut mir leid«, sage ich.
Mama zögert einen Moment.
»Wir haben wohl alle drei Dinge gesagt, die wir nicht so meinten«, sagte sie schließlich. »Das muss dir nicht leidtun. Entschuldige dich lieber für Samstag!«
»Entschuldigung.«
Sie seufzt. »Das tust du nie wieder, Vendela, hast du verstanden? Und wälz die Schuld nicht auf uns oder Anton oder wen auch immer ab.«
Ich nicke stumm.
»Wir sind verantwortlich für das, was wir tun, egal, was wir vorher erlebt oder durchgemacht haben«, sagt Mama. »Ich finde es furchtbar, dass Menschen Morde begehen oder ihre Kinder schlagen und es dann auf eine schwere Kindheit schieben. Das kann eine Erklärung sein, aber absolut keine Entschuldigung.«
Sie setzt sich auf und
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