Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman
Buzz?«
»Äh«, sage ich verlegen. »Das ist ein PlayStation2-Spiel, das eigentlich Tilde gehört, Tonjas kleiner Schwester, Dino Den . Jeder kämpft mit seinem persönlichen Dinosaurier. Frei ab drei.«
»Spielen wir?«
Nimmt er mich auf den Arm? Nein, scheint nicht so. Ich werfe meine alte Playstation an, in der Dino Den schon seit Monaten steckt. Ich wische den ärgsten Staub von den Controllern und reiche einen an Sven weiter. Meine Fingerspitzen streifen dabei seinen Handrücken.
Sven will das blaue Pteranodon sein, ich wähle den orangefarbenen Triceratops, und danach schmeißen wir gegenseitig unsere Dinosaurier aus dem Wasser, bewerfen Höhlenmenschen mit faulen Eiern und bestehen andere abenteuerliche Herausforderungen. Am Anfang finde ich es noch ziemlich peinlich, aber dann vergesse ich alles und bin genauso engagiert wie er. Wir schreien und lachen und kämpfen, als ginge es um unser Leben. Am Ende habe ich vor Lachen fast einen Krampf in den Bauchmuskeln, und wahrscheinlich ist meine Schminke verschmiert, aber das beunruhigt mich gar nicht. Sven sieht völlig zerzaust aus und hat rote Wangen und seine Augen funkeln blauer denn je.
»Wasser?«, frage ich.
»Ja, gern, ich bin völlig am Ende!« Er lacht. »Ich hatte keine Chance gegen dich!«
»Kindergartenspiele sind meine Stärke.«
»Das habe ich gemerkt.«
In der Küche fülle ich zwei große Gläser mit Wasser und gehe zurück in mein Zimmer. Sven steht vor dem Spiegel und fährt sich mit den Fingern durchs Haar. Er sieht mich an und lächelt und mein Herz setzt mindestens zwei Schläge aus. Seine Nähe wirkt sich definitiv gesundheitsgefährdend auf mich aus.
»Musik?«, frage ich.
Er nickt. »Hast du Spotify? Ich hab gestern eine neue Band entdeckt, vielmehr Leo hat sie mir gezeigt. Die haben total schöne Stücke, willst du hören?«
Wir verbringen eine ganze Weile damit, uns unsere Lieblingsstücke vorzuspielen, Songtexte im Netz zu suchen, Cover zu vergleichen und uns über Gott und die Welt zu unterhalten. Meine Schüchternheit ist vergessen. Es ist alles ganz leicht, das Gespräch zwischen uns fließt ganz selbstverständlich. Ich kann es nicht fassen. Klar lernt man immer neue Leute kennen, klar hat man zu manchen Menschen einen engeren Draht als zu anderen, das ist es nicht, aber ausgerechnet Sven, von allen völlig undenkbaren Menschen auf dieser Welt! Zwischendurch muss ich innehalten und ihn angucken, um sicherzugehen, dass er es auch wirklich ist. Und jedes Mal bin ich aufs Neue überrascht. Und ganz erfüllt. Am liebsten würde ich das Fenster aufreißen und laut und glücklich in den Spätsommerabend hinausschreien, was ich natürlich nicht tue.
Um halb zehn steht er auf.
»Jetzt muss ich aber nach Hause«, sagt er und klingt, als hätte er eigentlich gar keine Lust. »Papa hat nach dem Wochenende nicht die allerbeste Laune. Wenn ich nicht spätestens um zehn zu Hause bin, krieg ich wahrscheinlich Hausarrest forever.«
»Weil mein Vater ihn im Morgengrauen aus den Federn geklingelt hat?«
»Na ja, das hat die Sache sicher nicht begünstigt. Aber er hatte wohl noch andere Informationsquellen auf Sigges Party, jedenfalls wusste er, dass ich dort meinen Rausch ausschlafen musste.«
Mein Gesicht fängt an zu glühen, als ich daran denke, dass wir dicht nebeneinander im gleichen Bett in dem fremden Schlafzimmer geschlafen haben. Und als ob Sven gerade das Gleiche denkt, streckt er eine Hand aus und berührt ganz leicht meinen Hals.
»Ich hab noch immer deinen Duft in der Nase«, sagt er.
»Kotze«, sage ich.
Er lacht. »Das auch. Aber das meine ich nicht. Dein Haar duftet speziell. Wie … Erdbeeren.«
Ich nicke verlegen. »Das ist das Shampoo. Mein Shampoo ist genauso kindisch wie Dino Den . Auf der Flasche ist Shrek drauf.«
»Na, ein Glück, dass du nicht grün wirst, wenn du dir die Haare wäschst.«
Ich grinse. »Magst du etwa keine Sumpfmonster?«
»Nicht im Bett.«
Ich starre auf seinen Mund. Diese Lippen haben meine Wange geküsst. Die Erinnerung ist zwar in Nebelschleier, Schwindel und laute Musik gehüllt, aber trotzdem bin ich ganz sicher, dass es tatsächlich passiert ist. Ich spüre noch ganz deutlich den Abdruck seiner Lippen auf meiner Wange, den kleinen, feuchten Fleck, während der Himmel über uns in einem funkelnden Feuerwerk explodierte. Ziemlich weit hinten, nah am linken Ohr, sitzt das Gefühlsgedächtnis.
»Vielleicht kann ich dir ja helfen«, sagt Sven. »Mit Nils, meine ich. Wenn du
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