Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus
und überbieten einander, um die jolie môme auf ihre Barkasse zu locken. Ilse stülpt sich einen fleckigen Matrosenpullover über, schlüpft in speckige Espadrilles und verbringt die Nacht an Bord, als einzige Frau unter zwanzig Männern.
Fred kommt selten vor fünf Uhr früh aus dem Casino – von Weitem ist ihm anzusehen, ob er Fortüne hatte. Er ist ein schlechter Verlierer und versucht immer wieder, das Glück zu erzwingen, was ihm meist nicht gut bekommt. Etwa zur selben Zeit legt Ilses Boot am Hafen an. Oft begegnen sich Fred und Ilse bei Sonnenaufgang in der Marmorhalle des Carlton . Er im Smoking, sie von Kopf bis Fuß eine übel riechende poissonnière . Ilse erhält, auch wenn ihr niemand die Hand geben will, Komplimente für ihre courage . Fred hat den Spott – denn es spricht sich schnell herum, dass seine Allemande mit vielen Kapitänen navigiert. Die Concierges und livrierten Portiers sprechen noch viele Jahre von dem ungleichen Paar. Und als Fred nach dem Krieg mit einer »neuen« Madame seine alten Gewohnheiten wieder aufnimmt, wird die unternehmungslustige und schlagfertige Allemande an seiner Seite vermisst.
In Berlin ist Marie Winter begeistert. Zum ersten Mal in ihrem Leben hat ihre Ilse nun einen »reichen Freund« – nicht einen vom Theater, nicht aus der Partei, nicht intellektuell. Er fährt schnelle Automobile und ist spendabel. Mutter »Mieze« zeigt sich hocherfreut, endlich scheint die Tochter »reell« zu werden. Sie ist zufrieden und auch sonst zuversichtlicher. Der Olympia-Sommer 1936 hat die Stadt von ihrer besten Seite gezeigt: keine neuen Schikanen, kein Mangel. Sie hat gerade ebenihr Haus erweitert und zwei abgeteilte Wohnungen gewonnen. Endlich muss sie nicht mehr möbliert vermieten, ihre Existenz ist nun »bombensicher«. Sie selbst wohnt bequem im Parterre mit großem Wohn- und Esszimmer, Schlafzimmer mit Terrasse und Blick in den Garten. Sie verfügt über ihre eigene Küche und ein bequemes Bad. Der Anbau bringt zwei geräumige Wohnungen in der ersten Etage, dazu die kleine Wohnung unter dem Dach und mindestens zwei Einzelzimmer. Marie lebt beneidenswert. Ihre Schwester »Putz«, Vater Chaskel, ihre Freundinnen Frau Baum und Frau Ucko, alle bewundern Ilses »Eroberung«. Ein gut aussehender jüdischer Fabrikant aus der Schweiz. Das ist besser als ein reicher Onkel in Amerika – noch!
Kurz vor ihrer Abreise bietet Schwester »Putz« Marie nochmals an, sie mit nach Palästina zu nehmen. Sohn Fritz ist schon dort und kümmert sich um alles, jetzt ist die Gelegenheit. Die Zionisten raten den deutschen Juden zur baldigen Auswanderung, hier werde es für die »Familie« bald sehr schwer werden.
Marie will nicht. Ihr geht es den Umständen entsprechend gut, und ihre Ille sei endlich auf gutem Weg, schon deshalb könne sie doch nicht »in die Wüste« ziehen. Was Marie vorerst nicht erfährt, ist, wie schnippisch Ilse mit Fred umgeht, wie sie ihn bloßstellt, wie sie ihn spüren lässt, dass er ihr geistig nicht gewachsen ist, dass sie in der ganzen Stadt auf seinen Namen anschreiben lässt, dass Fred klaglos bezahlt und er sie trotz Demütigungen immer noch begehrt. Und so drängt Ilse auch auf Verlobung, denn sie spürt, dass Fred ihre »Lebensversicherung« ist. Dennoch kein Grund für sie, Rücksichten zu nehmen, wenngleich die Basler Fremdenpolizei auf eine Legitimierung der Verbindung drängt, ohne die Ilses Anwesenheit in Basel, wie sie mitteilt, »durch nichts begründet ist«.
Mit der Verlobung wird die Aktenlage »bedient«. Ilse schreibt an Fritz Jenny, den Chef der Basler Fremdenpolizei:
Basel, den 20.
April 1936
Der Grund meines Aufenthalts in Basel ist Ihnen bekannt. Mein Verlobter wünscht nicht, dass ich in den gegenwärtigen Zeiten in Deutschland lebe. Ich betreibe keinerlei Erwerb, auch nicht unentgeltlich. Ich habe eigenes Vermögen. Für meinen Unterhalt kommt Herr Heim auf. Ich bin auch im Begriff, mein Mobiliar aus Berlin im Hinblick auf die Heirat hierher kommen zu lassen, da ich es jetzt noch als Umzugsgut hereinbekomme.
Ihrem Wunsch entsprechend, habe ich Herrn Heim ersucht, mir zu Ihren Händen eine Erklärung zu übergeben, aus der sich ergibt, dass er mich zu heiraten sich verpflichtet.
Hochachtungsvoll
Ilse Winter
Doch das Begleitschreiben von Alfred Heim macht erstes Zögern spürbar. Ilse wird von der gesamten Heim-Familie abgelehnt. Alfreds Stellung unter den Geschwistern ist durch seinen extravaganten Lebensstil geschwächt, er
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