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Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus

Titel: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Heim
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weil eben nach Ansicht der Angehörigen des Bräutigams Frl. Winter nicht orthodox genug sei, weshalb eben die Verheiratung noch nicht stattgefunden habe. Aus diesem Grunde haben die beiden schon wiederholt heftige Szenen miteinander gehabt.
    Obwohl Frl. Winter einerseits davon überzeugt ist, dass es früher oder später doch zu einer Verheiratung kommt, hat sie andererseits wiederum keine Garantien, sodass sie es schon zum Teil bereute, dass sie sich mit Herrn Heim so intim eingelassen habe.
    Frau Wwe. Küng, die die Nebenwohnung innehat, deponiert, dass sie an Frl. Winter noch nichts von Bedeutung bemerkt habe. Frl. Winter sei eine moderne Frau, & so habe diese einen Freund, welcher sie oft besuche. Es sei ihr nur schon oft aufgefallen, dass die beiden schon einige Male heftige Differenzen gehabt hätten, wobei vonseiten des Herrn sehr unfeine Worte gebraucht worden seien.
    Herr Alfred Heim versichert die Fremdenpolizei, dass er ganz bestimmt Frl. Winter heiraten werde, & betont, dass er als Jude ein jüdisches Mädchen nicht auf diese Art am Narrenseil herumführen dürfe. Ferner bemerkt Herr Heim, dass er sich voll und ganz verpflichte, für den Lebensunterhalt seiner Braut aufzukommen, & hofft, dass er sich noch im Lauf dieses Jahres mit Frl. Winter trauen lassen kann.
    Grüninger leistet gute Arbeit. Seine Erhebungen kann ich auch fünfundsiebzig Jahre später nachempfinden. Was er vielleicht auch denkt, aber nicht zu Papier bringen darf: Fred Heim, der »Bräutigam«, ist der attraktiven Ilse aus Berlin recht hörig. Warum sonst sollte er für sie eine geräumige, gut möblierte Wohnung in bürgerlicher Lage mieten und sie auch während der Woche besuchen?
    An solchen Tagen setzt sich Fred am späten Nachmittag am Firmensitz, Quai de l’Alma, Mulhouse, in seinen dunkelblauen Bugatti, um eine knappe Stunde später bei Ilse im Zossenweg 3 vorzufahren. Am Grenzübergang in St.

Louis ist der unternehmungslustige Fabrikant eine Attraktion. Die französischen Gendarmen und die Schweizer Zöllner hören seinen schweren Roadster schon von Weitem dröhnen. Heim ist ein generöser Lebemann mit mächtigem sexuellem Appetit, den er ziemlich wahllos stillt. Jetzt nicht mehr. Ilse zieht ihn an, so einer Frau, einer solchen Jüdin ist er noch nie begegnet: gewandt, unabhängig und enorm erotisch.
    Personalausweis, Basel 1937
    Im Theater- und Filmmilieu von Berlin hat sie Konventionen abgeschüttelt, die Moderne erfahren und freizügig gelebt. Ilse hat Stil. Sie hebt Fred aus dem Manko seiner Unbildung heraus und überspielt seine linkischen Umgangsformen. Wenn er mit ihr in der Welt der geliebten Restaurants und Hotels vorfährt, wenn die livrierten Pagen den Schlag für die eleganten Beine aufreißen, dann ist Fred Heim in Begleitung von Ilse der Mann von Welt, als den er sich in seinen Träumen immer gesehen hat. Mit ihr an seiner Seite ist er ein Großer, so ganz im Kontrast zum puritanischen Basel und zum spießig-jüdischen Kleinbürgertum seiner Herkunft. Sie spielt ihm diese Rolle der »jüdischen Femme fatale« perfekt – eine Zeit lang ohne mit der Wimper zu zucken, später auch mit erstklassigen Szenen, denen er schon bald nicht mehr gewachsen ist.
    Seine ledigen, dauerhaft unzufriedenen Schwestern Irma und Jeanette lehnen eine Verbindung mit der »amoralischen« Ilse Winter strikt ab, seine Brüder Max und Louis schnalzen mit der Zunge, mischen sich aber nicht ein, und Henri, Direktor und Familienoberhaupt, versucht, Alfred durch die Sperrung von Schecks zur Räson zu bringen: vergebens. So behelfen sich die Heim- frères mit immer neuen Ergänzungen ihrer Gesellschafterverträge, um Fred zu bremsen. In einer Vereinbarung vom Juli 1933 halten sie ausdrücklich fest: »Bei einem Autokauf der Kontrahenten kommen weder die Firma noch einzelne Partner auf, insbesondere auch nicht für entstehende Schäden.« Eine »Lex Alfred«, der noch viele folgen werden.
    Ilse hat trotz vieler Annehmlichkeiten mit Fred ganz andere Favoriten. Sie bewundert geistreiche Männer, die nicht männlich zu sein haben, dafür im Bett rauchen, Esprit besitzen und Verlaine zitieren können. Männer, die schlagfertig und leidenschaftlich sind und denen sich Ilse rauschhaft hingeben kann, um ihnen dann in ihrem Jo-Jo aus Liebe und Eifersucht auch manch unfeines Abenteuer nachzusehen. Einige hatten ihren Auftritt schon – der junge Mann zwischen den Bettlaken, der Dramaturg Felix Gasbarra, der Dichter Walter Mehring, der Verleger

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