Ich will nur dein Glück: Roman (German Edition)
ordentlich getrimmt, in den Rabatten blühten Chrysanthemen, doch vor den Fenstern der Vorderfront waren die Jalousien zugezogen, was seltsam trist wirkte.
Von Annie weit und breit keine Spur.
Joe runzelte die Stirn, klingelte ein drittes Mal und klopfte noch einmal, lauter diesmal.
Nichts.
So rasch gab er nicht auf. Er zückte sein Handy, wählte ihre Nummer und lauschte dem Tuten in der Leitung. So stand er eine ganze Weile auf der Veranda, bis sich endlich die Haustür einen Spaltbreit öffnete und Annie hinter der Fliegentür erschien. Sie erweckte nicht den Eindruck, als wäre sie ausgehfertig. Ganz im Gegenteil: Sie sah a us, als hätte sie gesch lafen. Ihr Gesicht war blass, ihre Lockenmähne auf einer Seite platt gedrückt.
»Joe?«, sagte sie verwirrt und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, was nicht viel an der Optik ihrer Frisur änderte. »Was machst du denn hier?«
Er trat näher und hielt ihr die in Papier gewickelten Blumen hin. »Wir sind verabredet. Weißt du nicht mehr?«
»Oh! Das habe ich total vergessen.« Sie presste sich eine Hand vor den Mund und öffnete die Tür, um ihn hereinzulassen.
Joe folgte ihr in den kleinen Vorraum. »Sollte mir das zu denken geben?«
Sie lief feuerrot an. »Ich … «
»Ist irgendetwas mit deinem Vater?«, fragte er. »Geht es ihm gut?«
Annie nickte. »Jeden Tag besser.«
Wenn es nicht an ihrem Vater lag, musste es einen anderen Grund geben. Er legte ihr eine Hand auf die Stirn. »Bist du krank?«
Sie wich zurück. »Nein. Hör zu, es tut mir wirklich leid. Ich hätte dich anrufen sollen, aber … «
»Du hast es vergessen«, beendete er ihren Satz. Er ließ verwirrt den Blick über sie gleiten, vom pinkfarbenen Spaghettiträgertop, auf dessen Vorderseite in silbernen Buchstaben die Aufschrift KÜSS MICH prangte, über die tief sitzende, mit feuerroten Lippenpaaren übersäte Schlafanzughose bis hinunter zu den nackten Füßen und den knallrosa lackierten Zehennägeln.
Er unterdrückte ein Stöhnen. »Hab ich dich geweckt?«
Annie schüttelte den Kopf, ohne seinen prüfenden Blick zu bemerken. »Ich hab mich nur ein bisschen ausgeruht.«
Sie war also nicht krank, hatte aber ihre Verabredung verpennt. Und sie sah nicht gerade aus wie das blühende Leben. Als ihm wieder einfiel, dass sie an MS litt, hätte er sich beinahe mit der flachen Hand an die Stirn geschlagen. »Du hattest einen Schub.«
Sie wandte sichtlich verlegen den Blick ab. »Können wir es einfach auf ein andermal verschieben?«
Joe hatte keine Ahnung, was es bedeutete, an Multipler Sklerose erkrankt zu sein, und er hatte sich auch keinerlei Gedanken darüber gemacht, als er auf ein Date gedrängt hatte. Er sollte sich daher dringend darüber informieren. Inzwischen musste er eben intuitiv handeln, denn er würde sie ganz sicher nicht in diesem Zustand alleinlassen.
Sie schwankte und bestärkte ihn damit in seiner Entscheidung: Er konnte nicht einfach wieder gehen und sie sich selbst überlassen. Kaum hatte er die Blumen auf einem Sideboard abgelegt und Annie die Arme um die Taille geschlungen, da gaben ihre Knie nach, und sie sackte in sich zusammen. Sie fühlte sich schmal und zerbrechlich an, aber auch warm und weich und weiblich, und sie duftete leicht nach Erdbeeren.
»Was hast du vor?« Es klang schwach, als wollte sie nicht groß Einwände erheben.
»Ich bringe dich – wohin? Ins Bett?«, fragte er mit belegter Stimme.
Schweigen. Er konnte sich geradezu bildlich vorstellen, wie sie mit sich rang, diese stolze, unabhängige Frau, die partout nicht wollte, dass er sich um sie kümmerte.
Tja, da hatte sie Pech gehabt. Er hob sie hoch und war geschockt darüber, was für ein Fliegengewicht sie war. »Also, wohin? Bett oder Couch?«, fragte er, entschlossen, sich nicht abwimmeln zu lassen.
»Bett«, murmelte sie und schloss die Augen. Die Situation war ihr sichtlich peinlich. »Die Treppe hoch, erste Türe rechts.«
Joe folgte ihren Anweisungen und fand ohne größere Probleme den Weg ins Schlafzimmer.
»Ich dachte, du hast nicht vor, den Babysitter zu spielen?«, fragte Annie und schmiegte sich enger an ihn.
Er schnaubte. Hätte er etwa zusehen sollen, wie sie umfiel?
Er hätte ihr gern gesagt, dass er gelogen hatte, dass er sich so lange um sie kümmern würde, bis sie die Nase gestrichen voll hatte, obwohl ihm die Vorstellung nicht sonderlich behagte. Er hatte angenommen, die Zeiten, da er den Krankenpfleger spielen musste, wären endgültig vorbei. Aber Annie
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