Ich will nur dein Glück: Roman (German Edition)
überblätterte einige unwichtige Unterlagen, bis er zu den Formularen kam, die die Rossmans hatten ausfüllen müssen, um sich als Pflegeeltern zu bewerben. Jetzt wurde es interessant. Auf dem ersten Antrag erkannte er sogleich die vertraute verschnörkelte Handschrift von Florence. Sie gab an, warum sie eine Pflegemutter werden wollte und was sie einem Kind ihrer Meinung nach bieten konnte. Und ganz am Schluss hatte sie ausdrücklich hingeschrieben, dass sie sowohl Andrew (Dare) als auch Nash Barron bei sich aufnehmen wollte.
Nash blinzelte und las die Zeile noch einmal. Kein Zweifel. Florence hatte sie beide haben wollen. Sein Atem ging nun rasch und unregelmäßig. Er blätterte weiter zu Samuels Antrag, und sein Blick wanderte unverzüglich zum letzten Absatz. Und auch hier stand klipp und klar, dass er sie beide gewollt hatte, Nash und Dare.
»Das verstehe ich nicht«, murmelte Nash.
Er erinnerte sich noch genau daran, wie Richard ihn bei dem Freund, bei dem er in den Tagen nach dem Tod seiner leiblichen Eltern vorübergehend untergebracht war, aufgesucht hatte. Dare hatte ebenfalls bei der Familie eines Mitschülers Aufnahme gefunden.
Als Nash von Richard erfahren hatte, dass die Rossmans gewillt waren, ihn zu adoptieren, hatte er gefragt: »Und was ist mit Dare?«
Richard hatte zwar wie ein anständiger Kerl gewirkt, aber er war trotzdem ein Fremder für ihn gewesen, und Nash hatte versucht, sich von seiner hünenhaften Gestalt nicht einschüchtern zu lassen.
»Es gibt da eine nette Familie, die Dare gern zu sich nehmen würde«, hatte Richard gesagt.
»Können die Leute, die mich nehmen, nicht uns beide nehmen?«, hatte Nash beharrt.
»Manche Menschen haben in ihrem Herzen eben nur Platz für ein Kind«, hatte Richard damals erwidert, mit einem Lächeln, das selbst auf den sechzehn Jahre alten Nash gezwungen gewirkt hatte.
Nash erinnerte sich an seine Worte, denn als er damals mit seinem kleinen Koffer bei den Rossmans angekommen war, hatte er sich sogleich gefragt, wie es sein konnte, dass die zwei Menschen, die ihn willkommen hießen, in ihrem Herzen keinen Platz mehr für seinen kleinen Bruder hatten; zumal in ihrem riesigen Haus noch genügend Platz für ihn gewesen wäre.
Übelkeit stieg in ihm auf. Nash blätterte weiter, überflog die Informationen über die Garcias, die Dare adoptiert hatten, und weitere Unterlagen, die ihn nicht sonderlich interessierten.
Er konnte sich nur auf einen Gedanken konzentrieren: Florence und Samuel hatten sie beide haben wollen, obwohl man ihm zehn Jahre lang etwas anderes gesagt hatte.
So viele Lügen, so viele Geheimnisse, dachte Nash verbittert und zornig. Hört das denn nie auf?
Kapitel 12
Kelly ging in ihrem Büro auf und ab und fragte sich, wie Nash die Neuigkeit wohl aufnehmen würde. Sollte sie zu ihm rübergehen? Oder ihm noch etwas Zeit geben, um die neuesten Erkenntnisse zu verarbeiten? Dass die Rossmans auch Dare hatten zu sich nehmen wollen, das stellte sie in Anbetracht all dessen, was sie über die Barron-Brüder und ihre Vergangenheit wusste, vor ein Rätsel.
Sie vernahm ein Geräusch, das sich anhörte, als würde Nash gegen einen metallenen Mülleimer treten, und kam zu dem Schluss, dass es an der Zeit war, sich zu ihm zu gesellen.
Sie nahm all ihren Mut zusammen und betrat das Archiv. »Nash?«
Er drehte sich zu ihr um. Seine Miene war wie versteinert, eine Maske der Wut und der Verwirrung. Er sagte kein Wort und rührte sich nicht vom Fleck.
Kelly rieb sich verlegen die Hände und wusste nicht recht, wie sie reagieren sollte. »Es tut mir leid«, sagte sie schließlich. »Aber ich dachte, du solltest es wissen.«
Einen kurzen Moment lang meinte sie, einen Anflug von Dankbarkeit in seinem Blick zu erhaschen. »Da bist du offenbar die Einzige. Richard und die Rossmans haben mir zehn Jahre lang ins Gesicht gelogen, und sie würden es garantiert auch weiterhin tun«, knurrte er mit rauer Stimme. Es schmerzte Kelly, ihn so tief gekränkt zu sehen. »Die große Frage lautet nur: warum ?« Er sah ihr in die Augen.
Eine rhetorische Frage, das war ihnen beiden klar.
»Wirst du es Dare sagen?«, fragte Kelly.
Nash schüttelte den Kopf. »Nicht, ehe ich selbst mehr weiß. Er hat auch so schon genug mitgemacht«, antwortete er, wie immer auf das Wohlergehen seines kleinen Bruders bedacht.
Kelly lächelte. Hoffentlich wusste Dare, dass er sich glücklich schätzen konnte, so einen Bruder zu haben. Eigentlich hätte Nash den Beruf des
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