Ich will nur dein Glück: Roman (German Edition)
Kelly reinen Wein einschenken. Sie würde ihm von ihrer Vergangenheit mit Ryan erzählen; von den Fehlern, die sie gemacht hatte und von der Zeugenaussage, die ihr womöglich bevorstand. Sie würde endlich auspacken, und sie hoffte auf sein Verständnis. Sie wollte nicht zu den Menschen gehören, die ihn über viele Jahre hinweg angelogen hatten.
Am Freitagabend reihte sich auf dem Parkplatz vor Tess’ Schule ein teurer Wagen an den anderen. Kelly erspähte Ethans Jaguar und stellte ihren Ford Fiesta, der sich neben den riesigen Karossen ausnahm wie ein Spielzeug, unweit davon ab. Ihr war ja schon in Ethans Herrenhaus nicht ganz wohl in ihrer Haut gewesen, aber in Birchwood bekam sie regelmäßig Minderwertigkeitskomplexe.
Doch als Tess aus dem Jaguar stieg und, flankiert von Ethan und Faith, breit lächelnd angehopst kam, vergaß Kelly, wie fehl am Platz sie sich hier fühlte.
»Vergesst nicht, euch die Arbeiten von Sara Murphy anzuschauen«, sagte Tess. »Sie hält sich für die talentierteste Zeichenschülerin an dieser Schule. Die glaubt echt, es riecht nach Veilchen, wenn sie fur…«
»Na, na!«, riefen Kelly, Ethan und Faith im Chor.
Tess ließ eine riesige Kaugummiblase platzen.
Kelly runzelte die Stirn und streckte die Hand aus. »Her damit«, befahl sie, um Ernsthaftigkeit bemüht.
»Warte, ich habe ein Taschentuch«, schaltete sich Faith glucksend ein.
»Tess, du weißt doch, dass Kaugummikauen in Birchwood verboten ist«, ermahnte Ethan seine Halbschwester. »Könntest du dich bitte zumindest die eine Stunde, die wir hier sind, zusammenreißen?«
Tess überlegte kurz, dann grinste sie arglistig. »Okay, aber nur unter der Bedingung, dass sich alle meine Brüder vertragen«, sagte sie, wohl wissend, dass sie sich damit auf dünnes Eis begab.
Kelly hatte keine Ahnung, inwieweit Tess über den aktuellen Stand der Dinge im ewigen Bruderzwist informiert war, aber sie schien es stets zu bemerken, wenn sich die Stimmung zwischen ihnen änderte, und ihr war ganz offensichtlich nicht entgangen, dass es Ärger gab.
»Das tun sie doch immer«, sagte Kelly und bedeutete Tess, einen Zahn zuzulegen. »Und heute stehst ohnehin du im Mittelpunkt; da musst du dir diesbezüglich also keine Sorgen machen. Die drei werden sich schon zu benehmen wissen.«
»Das ist es gar nicht, was mir Sorgen macht.« Tess kaute auf ihrer Unterlippe herum, dabei hatte sie sie vorhin mit Kellys Hilfe sehr sorgfältig mit Lipgloss nachgezogen.
»Deine Bilder aber doch sicher auch nicht, oder? Ich weiß bereits, wie gut du bist«, versicherte ihr Ethan und hob die Hand, um ihr liebevoll die Haare zu zerzausen.
Faith erwischte sie gerade noch und verschränkte die Finger mit den seinen.
Kelly atmete erleichtert auf und warf ihr einen dankbaren Blick zu. Faith war offenbar außer ihr die Einzige, die wusste, dass Tess eine volle Stunde mit dem Glätteisen im Bad gestanden hatte. Und Ethan hätte ihre ganze Mühe beinahe mit einem Handgriff zerstört.
Kelly war froh über all die kleinen Veränderungen, darüber, dass sich Tess für eine Schulveranstaltung fein gemacht, sie um Lipgloss gebeten und so viel Zeit in ihre Frisur investiert hatte. Seit Ethans Rückkehr aus den Flitterwochen hatte Tess das Thema Schulwechsel noch kein einziges Mal angeschnitten. Sie verbrachte nach wie vor viel Zeit mit Michelle, und es bestand kein Zweifel daran, dass ihr diese Gesellschaft guttat, auch wenn sie nur die Tatsache zusammengeführt hatte, dass die anderen Kinder nichts mit Tess zu tun haben wollten. Das und der Kunstunterricht, den Tess so liebte, brachten Kelly zu der Überzeugung, dass Birchwood vielleicht doch keine so schlechte Wahl gewesen war.
Während sie gemeinsam mit zahlreichen Eltern und aufgeregten Schülern das Gebäude betraten und die Turnhalle ansteuerten, in der die Ausstellung stattfand, begrüßte Tess allenthalben Mädchen und Jungs, die Faith nicht kannte. Die Arbeiten der Kinder wurden in alphabetischer Reihenfolge präsentiert; Nash und Dare würden sie also problemlos finden.
Die Mappe, die Tess’ Werke enthielt, stand wie die der anderen Schüler auf einer Staffelei, und Tess hatte die Aufgabe, den Eltern, die vorbeikamen, und ihrer Familie ein paar Worte zu ihren Arbeiten zu sagen. Sie sollte erläutern, in welcher Stimmung sie entstanden waren und welche Motivation dahintersteckte.
Kelly nahm sich Zeit, um die Mappe durchzublättern, und sie staunte wieder einmal über das Talent ihrer Schwester. Tess
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