Ich will vergelten: Thriller (German Edition)
hat er sich zurückgezogen.«
»Aus irgendeinem besonderen Grund?«, fragte Daniels.
»Seiner Frau geht es ziemlich schlecht – bösartiger Hirntumor. Inoperabel, leider. Es ist unwahrscheinlich, dass sie den Sommer überlebt.« Die Frau sah traurig aus. »Entschuldigen Sie, aber ich habe noch Arbeit zu erledigen. Sie finden Brian im Garten.«
Sie verließen das Haus durch die Vordertür und gingen nach hinten. Als sie um die Giebelseite des Herrenhauses bogen, sahen sie Townsend ungefähr vierzig Meter entfernt. Er begradigte den Rasen mit einer Art Rasenschneider, die sie noch nie gesehen hatten. Auf halbem Weg verhakte sich einer von Daniels’ Absätzen im Untergrund, und sie fiel beinahe vornüber. Der Gärtner unterbrach seine Arbeit und richtete sich auf.
»Immer mit der Ruhe, Mädchen, oder Sie tun sich noch weh.« Er hob den Schuh auf, lächelte und gab ihn zurück. »Das passiert meiner Frau auch immer. Ich hab ihr schon gesagt, Rasen ist nicht für modische Schuhe gemacht.«
Daniels hob den Fuß und zog den Schuh wieder an. »Es tut mir leid, dass es, wie ich von Mrs Partridge gehört habe, Ihrer Frau nicht gut geht …«
Townsend wurde still.
»Krebs ist was Schreckliches …« Daniels spürte, wie eine Welle der Trauer über ihr zusammenfiel.
Townsend bemerkte ihren Schmerz. »Jemand, der Ihnen nahestand?«
Daniels nickte. »Meine Mutter.«
»Dann haben Sie all mein Mitgefühl, Ma’am. Ich kann mich einfach nicht an den Gedanken gewöhnen, dass ich ohne Joyce weiterleben soll.« Er war jetzt traurig und biss sich auf die Lippe, wobei seine Augen sich verdunkelten. »Mein Arbeitgeber hat seine geliebte Frau schon vor langer Zeit verloren, aber von ihm habe ich nicht eine Spur von Mitgefühl bekommen. Er ist kein mitfühlender Mann. Aber jetzt bezahlt er dafür, nicht? Er erntet, was er gesät hat.«
»An Ihrer Stelle würde ich ein bisschen aufpassen, was ich sage.« Gormleys Ton war scharf, warnte Townsend, dass er die Grenze überschritten hatte. »Die Leute könnten einen falschen Eindruck bekommen. Niemand verdient, was Ihr Boss derzeit durchmacht. Jessica ist sein einziges Kind …«
»Er hat dabeigestanden und …« Townsend bremste sich.
Daniels sagte: »Hat dabeigestanden und was genau gemacht?«
Der Gärtner sah auf das feuchte Gras hinunter, dann nahm er eine Tabakdose aus einer zerrissenen Jackentasche und öffnete sie. Darin befanden sich mehrere vorgerollte Zigaretten. Er nahm eine heraus und zündete sie an, wobei er den Rauch tief in seine Lungen inhalierte. Er war wütend, und Daniels wollte wissen warum.
»Brian?« Sie benutzte seinen Vornamen in der Hoffnung, so eine Antwort zu bekommen. »Bitte sprechen Sie aus, was Sie sagen wollten.«
Townsend starrte sie an. »Er hat danebengestanden und hat es zugelassen, dass ein junger Kumpel von mir gestorben ist, und hat mit keiner Wimper gezuckt. Ist es verwunderlich, dass es allen egal ist, was ihm passiert? Es ist das Mädchen, um das es mir leidtut.«
»Was meinen Sie mit: ›Er hat danebengestanden und hat es zugelassen‹?«
»Ich hab schon zu viel gesagt.« Townsend sah weg.
»Im Gegenteil«, sagte Gormley. »Wenn Sie etwas wissen, sagen Sie’s uns. Nur ein kaltherziger Mann würde ablehnen, uns zu helfen. Sie könnten die einzige Hoffnung sein, die wir haben, Jessica noch lebend zu finden, Brian. Helfen Sie uns bitte.«
Townsend rauchte weiter.
Des Wartens müde sagte Gormley ihm, er sollte aufhören, sie hinzuhalten.
Der Gärtner spuckte ein lästiges Stück Tabak auf den Rasen zu Daniels’ Füßen. Es war eine Geste, die ihr absichtlich vorkam, die dazu dienen sollte, ihr zu sagen, wie sehr er seinen Arbeitgeber verabscheute. Dann gab er plötzlich nach.
»Eine Gruppe von uns war zu einem Sondereinsatz in Nordirland – V-Regiment. Finch war unser kommandierender Offizier. Eine dringende Nachricht kam für einen Mann in meiner Einheit, dessen Tochter in kritischem Zustand mit Meningitis im Krankenhaus lag. Sie war sein einziges Kind, und Finch lehnte die Bitte um Rückführung ab, weil es unsere Mission gefährden könnte.«
»Hätte ja sein können. Ich habe schon schwere Entscheidungen für das Gemeinwohl treffen müssen …«
»Nee …« Townsend schüttelte den Kopf. »Jimmy war gut, aber so gut nun auch wieder nicht. Es gab andere Jungs in der Einheit, die seinen Platz hätten übernehmen können.«
»Ist sie gestorben?«, fragte Gormley.
Daniels hielt den Atem an.
Townsend nickte.
70
Weldon
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