Ich wollte Liebe und lernte hassen
Teppichboden mußte man kräftig schrubben wegen der Sauce. Oma kam ins Zimmer und sah die Bescherung, und als ich mich damit abgefunden hatte, jetzt eine Tracht Ohrfeigen zu kassieren, war dem gar nicht so. Stattdessen sagte sie nur: »Oh je, das ist ja eine schöne Bescherung, aber halb so schlimm, das Bett kann man frisch beziehen und den Teppich muß man halt ein wenig schrubben. Nur ich habe kein Fleisch mehr gemacht, bekommst halt die Hälfte von mir ab.« Das war alles, was passiert ist, und das war praktisch für mich gar nichts, aber ich hatte es ja auch nicht mit Absicht gemacht. Das einzigste, was mir nicht gefiel bei Oma, war ihr Kleietick, den sie hatte. Ich hatte Bauchschmerzen und schon drei oder vier Tage keinen Stuhlgang mehr, und als Oma meine Bauchschmerzen und meinen nicht vorhandenen Stuhlgang registrierte, meinte sie, das werden wir gleich haben, und ging in die Küche. Einen Augenblick später kam sie wieder ins Zimmer, mit einer Packung und einem Eßlöffel in der Hand. Auf der Packung stand groß das Wort Kleie, und ich konnte noch nichts damit anfangen, da ich gar nicht wußte, für was das gut sein sollte.
Sie zwang mich, zwei Eßlöffel davon zu verkonsumieren und mit etwas Wasser nachzuspülen. Die Kleie schmeckte mir zwar nicht, aber ich tat trotzdem was sie sagte, und schluckte das Zeug runter. Tatsächlich mußte ich zwei oder drei Stunden später auf die Bettpfanne und ich dachte, ich scheiß meine Gedärme mit aus. Oma war sehr zufrieden, daß ihr altes Hausrezept funktionierte, und so mußte ich dann jeden Tag konstant einen Eßlöffel Kleie in mich hineinwürgen, obwohl ich ab und zu widersprach, was aber nichts nützte, denn Oma hatte einen eisernen Willen, und so ließ sie nicht einen Tag ohne Kleie vergehen, damit das ja nicht mehr passierte mit den Magenschmerzen. Sonst war Oma immer gut zu mir und ich fand, daß es mir bei Oma besser ging als zu Hause, und war froh, nicht zu Hause zu sein.
Die Wochen bei Oma vergingen sonst ohne besondere Vorkommnisse, und eines Morgens rief Mutti an, daß in einer Stunde der Krankenwagen kommt und mich nach St. Oberit bringt und sie täte mitfahren, wir sollten alles richten.
Eine Stunde später war wirklich der Krankenwagen zur Stelle, und wir fuhren nach St. Oberit. Man brachte mich in ein Zimmer, wo noch andere lagen, und verpflanzte mich in ein Bett. Mutti blieb noch ungefähr eine halbe Stunde bei mir und mahnte mich mal wieder, ich solle anständig sein. Dann verließ sie mich und fuhr mit den beiden Sanitätern zurück.
Am Nachmittag nahm man mir gleich den Gips ab und machte alle ärztlichen Untersuchungen, wie schon in den anderen Kliniken. Es war wieder ein herrliches Gefühl, ohne den Gips zu sein, und doch noch so ungewohnt. Dann kam ich auf den Gedanken, wenn jetzt noch einer versuchen sollte, mich in einen Gips zu verpacken, der müßte mich erst umbringen, denn ich hatte es satt, immer wie eine Statue im Bett zu liegen. Am Abend durften wir alle vom Bett aus Fernsehen schauen, der Fernseher stand auf einem Schrank, und schon gefiel es mir hier besser als in irgendeiner anderen Klinik.
Ich hatte auch gleich Anschluß, also Kontakt, zu dem Jungen, der neben mir lag, und der hieß Günter. Er war noch viel schlimmer dran und schon über ein Jahr hier, da sein linkes Bein nach einem Sturz mit dem Fahrrad gelähmt war und er noch ein paar häßliche Narben dazu hatte, da er in ein paar herumliegende Glasscherben bei dem Sturz hineinrutschte. Er war ungefähr drei Jahre älter als ich, und so konnte ich mich mit ihm immer gut unterhalten. Am nächsten Morgen war Visite, und der Arzt ging von Bett zu Bett. Dabei schaute er sich Krankenbilder an und gab seine Anweisungen. Er sprach mit jedem ein paar Worte und ging immer weiter an das nächste Bett, wobei ihm die Krankenschwestern folgten mit dem fahrbaren Tischchen, auf dem, für mich sah es so aus, aller mögliche Kram und Gerümpel drauflag. Dann stand er vor meinem Bett.
»Aha, ein neuer Patient. Guten Morgen. Geht es dir gut?«
»Ja, Herr Doktor, mir geht es einwandfrei.«
»Geben Sie mir das Krankenblatt und die Röntgenbilder.« Er schaute sich das Krankenblatt und die Röntgenbilder in aller Ruhe an und meinte dann an die Krankenschwester gerichtet:
»Lassen Sie ihn nochmal röntgen, damit wir feststellen, ob sich schon etwas geändert hat. Dann werden wir ihm noch eine Gipsschale machen und Gewichte an die Füße hängen, damit sich das ganze ein wenig streckt.«
Als
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