Ich würde dich so gerne kuessen
Plattenteller. Bo Didley oder so etwas. Manchmal fällt es mir schwer, das alles auseinanderzuhalten.
Wir rücken die Möbel in die Mitte der Küche und machen uns an die Arbeit. Vielleicht ist das gar keine schlechte Idee. Ein wenig Ablenkung. Es macht mir Spaß, mit der vollgesogenen Farbrolle über die Wand zu streichen. Das Grün ist schön, wie dunkles Gras. Bo Didley oder sonst wer schmettert ein »yeah, yeah, yeah« aus den Lautsprechern. Jeffer sieht hochkonzentriert aus bei seiner Aufgabe der Küchenrenovierung. Ich fühle mich, als würde ein frisch vermähltes Pärchen die erste eigene Wohnung verschönern, nur dass wir kein Pärchen sind. Was soll’s! Ich hatte eh immer schon etwas gegen Pärchen. Nicht dass Mann und Frau nicht zusammen sein sollen, aber dieses Pärchen-Rumgehänge mit Knutschflecken und ständigem Händchenhalten ging mir schon immer auf die Nerven. Plötzlich sind Freunde und sonst was unwichtig, und man verbringt die Unterrichtsstunden damit, den Namen des Liebsten in Schnörkelbuchstaben auf Bücher zu kritzeln und hat dabei immer so einen Hundeblick. Dann ist es mir schon lieber, wie Maja das macht. Ihr Männerverschleiß lässt zwar auch auf irgendeine Macke schließen, aber sie bleibt dabei wenigstens nüchtern und wird nicht gleich eine hysterische Tussi mit neuen Glitzerhaarspangen im Haar.
Ich habe die erste Hälfte der Wand gestrichen und muss mein Werk erstmal von Weitem betrachten. Irgendwie fleckig. Jeffers Wand sieht professioneller aus.
Ich sehe ihm dabei zu, wie er mit der Farbrolle hantiert. Seine Oberarmmuskeln spannen sich an und wieder ab, seine Schulterblätter treten vor. Ja, er könnte auch so ein Mann in einer Coca-Cola-Werbung sein. Die, wo die Sekretärinnen einen verträumten Blick bekommen, sobald er den Raum betritt. Jeffer gehört definitiv auch zu den schönen Menschen. Die, denen alles nur so zufliegt. Ich bin nicht so ein Mensch und vielleicht scheint mir deshalb diese Konstellation aus uns beiden so abwegig.
»Du machst doch nicht schon schlapp!«, pöbelt Jeffer von der Leiter.
»Ich bewundere dich bloß ein bisschen.«
Er wirft mir über die Schulter ein scheues Lächeln zu. Einen kleinen Moment lang ist da so ein Blick zwischen uns beiden, welchen es bisher nicht gab. Aber kurz darauf ist alles wieder beim Alten. Und da sollte es vielleicht auch bleiben. Was weiß ich schon, was so ein bisschen Whiskey mit den Menschen anstellt. Man muss doch nicht alles hinterfragen. Ich wollte nicht mehr so kompliziert sein, ich wollte das Leben einfach auf mich zukommen lassen. Voilà. Hier bietet sich mir die Möglichkeit dazu und ich sollte sie ergreifen. Vielleicht stärkt so etwas auch den Charakter. Vielleicht. Das Leben ist immer so voller widersprüchlicher Ansichten, z. B. »Lass dich treiben!« und im Gegensatz dazu »Verlier nie dein Ziel aus den Augen!«. Wenn man wie ich nicht weiß, was das Ziel ist, fährt man mit dem Sichtreiben-Lassen eindeutig besser. Ich dachte auch, mir würde es schlecht damit gehen, aber das stimmt nicht. Eigentlich geht es mir hier und jetzt sehr gut. Wenn ich wollte, könnte ich auch ein Drama aus der ganzen Geschichte machen, aus diesem Kuss, aber ich denke, dabei könnte ich nur verlieren. Meine Eltern würden das hier nicht gut finden, sie würden sagen, ich lasse mich ausnutzen. Und vielleicht würde ich ihnen sogar glauben, deshalb bin ich froh, dass sie jetzt nicht da sind.
Ich steige wieder auf meine Leiter und trage die grüne Farbe vorsichtig auf die Wand auf.
Der Gedanke an meine Eltern lässt sich nicht verscheuchen. Bald werden sie wieder hier sein, und ich weiß, dass ich sie nicht anlügen darf und dass letztendlich vieles rauskommen wird, weil die Sache mit der Schule sich nicht verheimlichen lassen wird. Ich habe eigentlich nie wirklich geglaubt, dass ich es verheimlichen könnte. Ich habe es weggeschoben, aber mir war schon klar, dass drei Wochen unentschuldigtes Fehlen Konsequenzen haben werden. Ich muss mir etwas zurechtlegen, womit meine Eltern gut leben können und was irgendwie wenigstens ein wenig die Wahrheit streift. Die Gefühle und das alles werden sie nicht mitbekommen, aber ich glaube, das muss jetzt so sein. Ich bin siebzehn, ich muss jetzt einige Dinge für mich behalten, schon alleine um meine Eltern zu schützen, die am liebsten immer noch glauben würden, ich hätte bis gestern noch mit Puppen gespielt.
Eine Stunde später sitzen Jeffer und ich auf dem Küchenboden, erschöpft. Wenn
Weitere Kostenlose Bücher