Ida B ... und ihre Pläne, so viel Spaß wie möglich zu haben, Unheil zu vermeiden und (eventuell) die Welt zu retten
entsetzt.
Dieses Glück würde auch nicht zufrieden sein, in mir drinzubleiben. Es wollte geteilt werden. Und es war ihm egal, mit wem, einschließlich Mama und Daddy.
Ich konnte mir plötzlich vorstellen, mit Mama und Daddy Abendbrot zu essen, und alle guten Gefühle sprudelten aus mir heraus. Da säße ich, grinsend und quasselnd, und als Nächstes würden die beiden womöglich noch glauben, ich hätte mich in mein altes, munteres Selbst zurückverwandelt, Schule wäre das Beste, was mir je passiert sei, und am Ende könnte vielleicht doch noch alles gut werden.
Und das wäre natürlich nicht hinnehmbar.
Ich hatte nicht vor zuzulassen, dass das Glück meinen Standpunkt unterwanderte, nichts in meiner Familie
oder in meinem Tal sei in Ordnung, bloß weil vielleicht dann und wann mal irgendwas Gutes in der Welt geschah.
Deshalb versuchte ich, einen Teil des Glücks noch vor dem Abendbrot wieder loszuwerden, indem ich Rufus und Lulu von meinem Lautlese-Abenteuer erzählte. Ich setzte sie beide auf mein Bett, und während Lulu Rufus mit tödlichster Verachtung anstarrte, erzählte ich ihnen meine Geschichte. Doch selbst zwei Schläge von Rufus’ Schwanz und ein gelangweiltes Gähnen von Lulu löschten das Gefühl nicht im Mindesten aus.
Als ich mich zum Abendbrot setzte, schlug das Glück in meinem Magen Purzelbäume vor Aufregung. Es schüttelte sich vor Freude in der Erwartung, dass ich Mama und Daddy von meinem Tag erzählen würde. Es kribbelte mich, ihnen zu erklären, wie zufrieden ich mit Miss Washington war und mit den Büchern, die sie mir gab, vor allem aber damit, dass sie mich Alexandra Potemkin und das Spaceshuttle zum Planeten Z hatte vorlesen lassen. Es wollte sogar anfangen über Ronnie zu plaudern.
Ich versuchte fortzukommen, ehe irgendwas von der Freude aus mir heraustropfte.
»Ich hab keinen Hunger. Darf ich gehen?«, fragte ich.
Aber Daddy war darauf vorbereitet, meinen Plan zu zerstören. »Du musst dein Abendbrot essen, Ida B«, verkündete er.
»Iss wenigstens ein bisschen, Süße«, fügte Mama hinzu.
Also, an dem Punkt schlug mein Herz noch mal extra stark in dem Versuch, das Glück unten und ruhig zu halten, aber es verlor schnell an Boden. Ich merkte, ich
würde etwas herauslassen müssen, um wenigstens den Rest im Zaum halten zu können und die Kontrolle über mein Inneres zurückzugewinnen.
Also konzentrierte ich mich auf meine Karotten, ordnete sie erst senkrecht, dann waagrecht und schließlich im Zickzack an. Und ließ einen winzigen Leckerbissen des Frohsinns heraus.
»Ich hab heute ein Buch vorgelesen«, sagte ich und kämpfte damit, meine Stimme gleichmäßig unten zu halten.
Daddy schaute auf und machte große Augen, als ob er nicht recht wüsste, was er mit einem Gesprächsfetzen von mir anfangen sollte.
»Oh, hat es dir denn gefallen, Ida B?«, fragte Mama und lächelte mich an.
Ich nickte nur mit dem Kopf.
»Was hast du denn vorgelesen, Ida B?«, fuhr Mama fort.
»So ein Buch über ein Mädchen«, erklärte ich den Karotten.
»Kanntest du das Buch schon oder hast du es da zum ersten Mal gelesen?«
»Ich hatte es schon vorher gelesen.«
»Hattest du Angst, vor all den andern zu lesen, Ida B?«
Ich zuckte die Schultern, als ob es so eine nichtige Sache gewesen wäre, dass ich mich kaum noch erinnern konnte. »Nicht wirklich.«
»Das muss ja wundervoll für dich gewesen sein, Kleines, oder?«, fragte Mama.
Und sobald Mama das sagte, spürte ich wieder jeden
Tropfen der Wonne beim Lesen der Geschichte. Sie überschwemmte mein Inneres, und ich konnte das Glück nicht mehr hindern, aus mir herauszuströmen.
»Ja«, sagte ich.
Dann schaute ich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit, wie es schien, Mama an, und sie schaute mich nicht an , sondern in mich hinein. Sie zog mich mit ihrem Blick an sich, wie sie es früher immer getan hatte. Mit einem Mal sah ich das Licht, das zu Mama gehörte, wie es aus ihren Augen leuchtete. Ich konnte nicht anders, ich musste es einfach anlächeln.
»Sei vorsichtig«, warnte mich mein Herz.
Aber es fiel mir schwer, mich an irgendwas zu erinnern, weswegen ich hätte vorsichtig sein sollen. Denn wenn ich Mamas Augen ansah und nicht ihren kahlen Schädel oder ihre blasse Haut, wusste ich, dass der Teil von ihr, den ich für immer verloren geglaubt hatte, noch da war und leuchtete, nur jetzt ganz tief aus ihrem Innern.
Der Teil von mir, der wusste, was für ein gutes Gefühl das war, gedrückt und geschmust zu werden, sehnte sich
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