Ida B ... und ihre Pläne, so viel Spaß wie möglich zu haben, Unheil zu vermeiden und (eventuell) die Welt zu retten
Drastisches tun müsste, denn ich konnte ja nicht für immer so böse und schwer atmend dastehen.
Aber ehe ich mich wieder richtig aufregte, sagte sie, direkt an meine Augen und an mein Inneres gerichtet: »Du bist gemein.«
Und dann drehte sie sich um und ging. Ich stand da, die Fäuste geballt und immer noch atmend wie ein Bär, bereit, ihr alle möglichen Dinge an den Kopf zu werfen, zum Beispiel: »Wie schrecklich!«, oder: »Das stimmt. Aber vergiss es nicht, du Riesenbaby!«
Doch mitten auf meiner Brust, wo ihr Rehblick geendet hatte, spürte ich ein Gewicht, das mich bremste und einhalten ließ. »Ich bin nicht gemein. Bestimmt nicht.
Komm zurück«, wollte der weiche, gutmütige Teil von mir sagen.
Aber mein steinhartes Herz konnte das nicht dulden. »Hör auf!«, brüllte es und schon war Schluss mit Schwäche und traurigen, bedauernden Gefühlen. Ich war die »Beschützerin des Tals« und deshalb konnte ich Rührseligkeit nicht gebrauchen.
Als ich nach Hause ging, durch den Wald und um den Fuß des Berges herum, war jeder Schritt schwer und schrecklich, er stampfte den Boden. Jedes Mal wenn der linke Fuß niederging, sagte ich: »Mein«. Und jedes Mal wenn der rechte Fuß niederging, sagte ich: »Sieg«.
So stampften meine Schritte während des ganzen Heimwegs den Rhythmus zu den Worten: »Mein… Sieg... Mein... Sieg... Mein... Sieg.«
23. KAPITEL
Abends, als ich zum Essen herunterkam, war ich auf Streit vorbereitet. Ich war ganz zufrieden mit meinem Sieg vom Morgen und fühlte mich bereit, es mit meinen furchtbarsten Gegnern aufzunehmen: Mama und vor allem Daddy.
Vielleicht gab es ja wirklich keinen Weg mehr zurück zu dem Leben, wie es früher einmal gewesen war, bevor Mama krank wurde. Ganz sicher gab es keine Chance, die Bäume wieder herzubringen, die gefällt worden waren. Aber das bedeutete doch nicht, dass es gleichgültig war, ob sich diese zwei Leute da elend fühlten wegen der Traurigkeit und Zerstörung, die sie und ihre völlig untragbaren, hundert Prozent wortbrüchigen Entscheidungen über mich und das Tal gebracht hatten. Genauso wenig bedeutete es, ihnen nicht zeigen zu können, dass es im Haus wenigstens eine Person gab, die sich noch erinnerte, was richtig und gut war. Ihr Name war Ida B Applewood.
Mein kaltes, hartes Herz war in Topform, es nahm keine Gefangenen, schon gar keine kranken, müden und überlasteten. Es akzeptierte nur die völlige Unterwerfung, was das von allen Seiten unterzeichnete und für immer und ewig gültige Versprechen einschloss, dass sich hier alles sofort, in dieser Minute verändern würde.
Ich hatte das Ganze am Nachmittag zu Papier gebracht und trug das Dokument in meiner Gesäßtasche.
»Wir, die Unterzeichner«, begann der Text, denn ich hatte das extra im Lexikon nachgeschlagen, »versprechen feierlich, dass folgende Dinge NIE MEHR geschehen werden:
DER VERKAUF VON LAND,
DAS FÄLLEN VON BÄUMEN,
DAS TÖTEN VON DINGEN
ODER DAS ZUR-SCHULE-SCHICKEN
VON KINDERN GEGEN IHREN WILLEN,
GÜLTIG MIT SOFORTIGER WIRKUNG.«
Darunter war Platz für unsere Unterschriften und ganz unten rechts für das Siegel über »Ida Bs absolut gerechte und ewig bindende Rechtsdienste«.
Ich hatte auch eine Rede an Mama und Daddy vorbereitet und auswendig gelernt. Sie fing mit dem Satz an: »Ich werde euch beiden jetzt etwas sagen, deshalb hört besser zu...«
Sobald ich ihre volle und ungeteilte Aufmerksamkeit hatte, würde ich mit Fragen wie diesen fortfahren: »Macht es euch eigentlich gar nichts aus, dass sich hier
alles verändert und von richtiger als richtig zu tausend Kilometer jenseits von falsch entwickelt hat?« Oder: »Stört es euch überhaupt nicht, dass die Bäume gefällt wurden und sie für immer fort sind?« Oder: »Beschäftigt sich wenigstens ein halbes Molekül in euch mit der Tatsache, dass ich mich erbärmlich fühle?«
Enden wollte ich dann mit einem schrägen, stechenden Blick, der genau auf Daddy gerichtet wäre. »Du hast gesagt, dass wir die Hüter der Erde sind«, würde ich sagen. »Du hast gesagt, wir haben die Dinge besser zu hinterlassen, als wir sie vorfanden. Ich glaube nicht, dass die gefällten Bäume sagen würden, du hättest gut auf sie aufgepasst, oder was meinst du?«
Dann, wenn die Tränen flössen, von beiden Seiten Entschuldigungen kämen und sowohl Mama als auch Daddy zu mir sagten: »Was sollen wir tun, Ida B? Was verlangst du von uns, damit wir das Geschehene wieder gutmachen?«, würde ich das Dokument aus meiner
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