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Idealisten der Hölle

Idealisten der Hölle

Titel: Idealisten der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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Windeln aus orangefarbenem Stoff zu wickeln. Es nörgelte mißmutig.
    »Beweg dich ein bißchen!« drängte Harper.
    Arm grinste ihr zu, brachte die Arztausrüstung zurück und drohte Harper mit dem Zeigefinger. »Jede Menge Zeit«, sagte er zu ihr, verzog das Gesicht und bleckte seine abstoßenden Zähne.
    »Unterstütz sie nicht auch noch.« Der Krüppel spürte, daß seine Stimme ungeduldig zitterte, bemühte sich, seine Unruhe besser zu zügeln.
    »Das hilft keinem weiter«, sagte Arm. Er durchstöberte die Tasche, holte Gegenstände heraus und warf sie wieder zurück.
    »Kannst du etwas für ihn tun?«
    Er zuckte die Achseln. »Nicht viel. Er muß selbst darüber hinwegkommen. Hier sind Antibiotika, aber ich kann mich nicht erinnern, ob sie sich halten. Sie sind schon ziemlich alt. Laß sie ihn trotzdem schlucken.«
    Harper nahm den angebotenen Behälter behutsam an sich. Der Geist der Technologie rasselte ihm daraus entgegen.
    »Alle?« fragte er.
    Arm war immer noch mit dem Inhalt der Tasche beschäftigt.
    »Aha!« rief er und zog eine Sprühdose hervor. »Wie? Nein, gib ihm drei.« Er drehte sich zu Morag um und gab ihr die Sprühdose. »Ich glaube, damit kannst du mich aufmöbeln.«
    Er streifte die Fetzen seiner Op-art Hosen und des Fair-Isle-Pullovers ab. Seine Beine waren dünn und weiß und stark verkrümmt, sein Torso lächerlich breit und mit Haaren bedeckt.
    Harper starrte seine krummen, unentwickelten Beine an und dachte dabei, daß der Zwerg einen großen Teil seiner Kraft aufwenden mußte, nur um vorwärtszukommen.
    Arm begegnete seinem Blick und grinste.
    »Hau ab und gib ihm seine Tabletten, eh?« schlug er vor.
    Harper wurde rot. »Verzeihung«, murmelte er.
    Morag machte sich daran, Arms Blasen einzusprühen. Als sie sich einmal an den Gebrauch der Dose gewöhnt hatte, machte es ihr Spaß.
    Einige Minuten später verloschen die Neonlichter, und schwaches, rosafarbenes Licht erfüllte die Bibliothek. Harper hinkte zum nächstgelegenen Fenster, aber alles, was er sehen konnte, war ein Wald von Hochhäusern, die in dem fahlen Morgenlicht illuminiert waren. Einige Stunden später hatten sie einen Besucher.
    Die Bibliothek hatte sich ein wenig erwärmt, Harper, der sich immer noch darum bemühte, die Dinge in den Griff zu bekommen, äußerte seine Theorien. »Es sind Primitive«, vermutete er. »Sie haben keinerlei Technologie mehr zur Verfügung.«
    Arm schüttelte den Kopf. Das Betäubungsmittel aus der Sprühdose hatte ihn träge gemacht.
    »Sie wissen, wie man mit einem Schloß umgeht.«
    »Das ist Überlieferung«, sagte Harper heftiger als beabsichtigt, weil er erwartet hatte, daß der Zwerg, von seinem Standpunkt als Mechaniker, ihm recht geben würde. »Wie ein Ritual«, beharrte er. »Von Generation zu Generation weitergegeben. Schloß trennt, Paraffin brennt – es ist nicht schöpferisch.«
    »Wer ist das schon?« fragte Arm ruhig. »Zinnhäusler?«
    Verletzt wandte sich Harper ab und starrte auf das Regal mit dem Hinweisschild »Wissenschaftliche Zeitschriften«. »Geh zum Teufel«, murmelte er in widerwilliger Zustimmung.
    Arm lachte.
    »Pauce hat das Steuer in der Hand, nicht du«, sagte er nicht ohne Wohlwollen. »Er betrachtet sich selbst als den letzten zivilisierten Menschen, aber er ist auch nur ein Aasfresser. Jeder kann einen Geigerzähler ablesen, aber seine Technologie steht auf einem anderen Blatt.«
    »Welchen Maßstab sollen wir denn anlegen?«
    »Brauchst du einen? Angestrengtes Nachdenken führt heutzutage nicht weit.«
    Harper fand diese Haltung unverständlich: Beide, sowohl der Doktor als auch Arm verfügten über Bruchstücke des alten Wissens, aber keiner von ihnen schien anders als aus dem augenblicklichen Impuls zu handeln.
    »Aber wie werden wir mit ihnen fertig, wenn wir es nicht tun?« fragte er vorwurfsvoll.
    Arm gab seinem Stuhl einen Stoß, daß er wie eine verängstigte Krabbe über den Boden rutschte, und schnellte mit gebleckten Zähnen hoch. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er gab einen Ton von sich, der wie ein Lachen klang.
    Harper, besorgt über seine weit aufgerissenen Augen, fröstelte. Langsam griff er nach der Pistole, die er während des Gerangels verloren hatte. Drüben bei den Nachschlagewerken fiel Morag die Zinntasse aus der Hand. Sie jammerte, die großen Augen auf den Zwerg geheftet. Die Tasse hüpfte heftig klappernd über den Vinylboden und weckte das Kind.
    Zeitverzögerung: Harper brauchte eine halbe Stunde, um auf die Füße zu

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