Idol
Volk
einen so schnellen Urteilsspruch ohne Ansehen der Person.
Medici war einer von den Kardinälen, die für die Wahl Sixtus’ V. am meisten getan hatten. Unfähig, einen Charakter dieses
Kalibers wirklich zu verstehen, war er aber gleichwohl von der Kraft und Strenge dieses großen Papstes überrascht, der rigoros
den Verfall der Sitten bekämpfte, wie er für den Zustand von Staat und Kirche unter dem letzten Pontifikat so bezeichnend
gewesen war.
Medici war sehr scharfsinnig. Doch da er hartherzig und gefühlsarm war, liebte er nichts und niemanden. Das Gute war ihm ebenso
gleichgültig wie das Böse. Er betrachtete beides nur als Mittel zum Zweck, und sein einziger Lebenszweck war die Macht, oder
das Geld – jene andere Form der Macht. Er hatte überhaupt kein Verständnis für einen Mann wie Sixtus V., der sein Amt nur
dazu nutzte, Mißbrauch und Ungerechtigkeit wirksamer zu bekämpfen. Der fünfundsechzigjährige Sixtus war immer noch der Franziskaner
mit dem reinen Herzen, der im Alter von zwanzig Jahren in dem festen Entschluß Mönch geworden war, dem Guten auf Erden zum
Siege zu verhelfen, wo immer die göttliche Vorsehung ihn hinstellen würde.
Es war noch keine Woche seit der Thronbesteigung des neuen Papstes vergangen, als mir ein Diener aus Montegiordano ein Billett
des Fürsten Orsini überbrachte, der mich bat, ihn zu empfangen. Wie ich hörte, konnte er nur unter großen Schmerzen laufen,
und so sandte ich ihm ein paar Zeilen des Inhalts, ich würde noch selbigen Tages nach Montegiordano kommen.
Bei seinem Anblick erschrak ich: wie sehr hatten sich seine Züge verändert, wie mühsam bewegte er sich!
»Armando«, sagte er, nachdem er mir zu trinken angeboten hatte (obwohl wir erst Anfang Mai schrieben, war es sehr heiß), »ich
möchte, daß du eine Audienz bei Sixtus V. für mich erbittest.«
»Verzeih, Paolo«, antwortete ich, »du bist ein großer Fürst im Staat. Warum bittest du nicht selbst darum?«
»Ich möchte, daß du bei der Unterredung zugegen bist, |392| Armando, als mein Beschützer, zumindest solange wir im Vatikan sind.«
»Aber warum gerade ich, Paolo?«
Der Schatten eines Lächelns umspielte seine Lippen.
»Möchtest du, daß ich Graf Olivares bitte, mich zu begleiten,
carissimo ?«
»Gottbewahre!« lachte ich. »Im Klartext also: du erwartest Bürgschaft und Geleitschutz vom Botschafter Venedigs, ja? Du befürchtest,
wenn du erst einmal im Vatikan bist, ihn nicht wieder ungehindert verlassen zu können?«
»So ist es.«
»Ich sehe das anders. Sixtus V. hat zweifellos Della Paces Bericht gelesen. Wie könnte er danach noch glauben, du trügest
Schuld an der Ermordung seines Neffen?«
»Das ist es auch nicht, was ich fürchte. Doch ich habe gegen seinen Vorgänger zu den Waffen gegriffen. Sixtus V. hat einigen
Grund, mich als einen Rebellen anzusehen. Und vor allem habe ich, trotz seiner Strafandrohung, die Verbannten noch nicht von
meinem Hof gewiesen.«
»Verzeih,
carissimo
, aber ist das nicht ein bißchen unvernünftig?«
»Ich fühle mich diesen Leuten in gewisser Weise verpflichtet, denn ich habe ihnen meinen Schutz zugesichert.«
»Den aber nicht alle verdienen …«
»Das ist richtig. Doch wie soll ich sie jetzt vor die Tür setzen, ohne die Zusicherung zu haben, daß sie nicht sogleich eingekerkert
werden?«
»Und diese Zusicherung hast du vom Papst verlangt?«
»Ja, in einem Brief, den er nicht beantwortet hat. Außerdem hat es ihm gewiß nicht sehr gefallen, daß ich die Zeit des Interregnums
genutzt habe, um Vittoria wieder zu heiraten.«
Ich überlegte einen Moment. Dann sagte ich:
»Deine Befürchtungen, Paolo, scheinen mir unbegründet zu sein. Wenn du jedoch auf deiner Bitte bestehst …«
»Ich bleibe dabei.«
»… muß ich sie in Venedig vortragen.«
»Aber dann geht so viel Zeit verloren!« rief er.
Und plötzlich erschienen mir sein Blick und seine Stimme so herzzerreißend traurig, daß ich mich fragte, ob er nicht seine
Tage für gezählt halte. Um meine Bestürzung zu verbergen, |393| steckte ich die Nase in meinen Becher und trank in kleinen Schlückchen meinen Wein.
»Du hast recht«, sagte ich nach einer Weile. »Die Angelegenheit der Serenissima zu unterbreiten würde zuviel Zeit kosten.
Und ich vermute, daß es dich bei dieser Hitze drängt, Rom zu verlassen und mit deiner Gattin den kühlen Schatten von Bracciano
zu genießen. Also gut, Paolo, die Sache ist abgemacht. Noch heute
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