Idol
Rücken, weil ich auf dem harten Boden geschlafen habe; ich richte mich auf und sehe nach Marcello. Nicht
einmal Kanonendonner würde ihn jetzt wecken. Jetzt könnte ich nach Herzenslust schreien, ohne ihn zu erzürnen. Andererseits
habe ich gar keine Veranlassung mehr zu schreien, da er ja schläft.
Unter der Asche ist noch Glut, so daß ich das Feuer wieder anfachen kann. Es ist nicht eigentlich kalt, aber die Kälte wird
mit Tagesanbruch kommen, und er soll sich beim Erwachen behaglich fühlen. Beinkleider und Wams, die er gestern abend zum Trocknen
ausgebreitet hatte, sind trocken, aber vom Meersalz weiß verkrustet und schwer geworden. Man müßte sie in klarem Wasser ausspülen
und noch einmal trocknen, was ich ohne seinen ausdrücklichen Befehl nicht wage. Vielleicht muß er sich schnell anziehen, um
zu fliehen oder sich zu verstecken.
Ich bin’s zufrieden, diesen unzugänglichen Menschen hier zu haben, selbst wenn er grollt und schlecht gelaunt ist. Gleichzeitig
sterbe ich fast vor Angst. Die beiden haben sich in die Höhle des Löwen begeben! Zwei Dolche gegen vierzig Arkebusen! Ich
habe das Gefühl, daß alles ein schlechtes Ende nehmen wird. Meine armen Eltern: was werdet ihr für Augen machen, wenn euch
der Pfarrer in der Kirche von Grottammare von der Kanzel herab verkündet, daß eure unglückliche Tochter wegen Beihilfe zum
Ehebruch gehängt wurde. Und wer von den Leuten im Hafen wird dann noch mit euch reden?
Ein wenig Tageslicht dringt durch die Fensterläden, und da sie nach innen öffnen, mache ich sie einen Spalt breit auf, um
nach dem Wetter zu sehen. Der Himmel ist klarer als gestern, Blau schimmert zwischen den Wolken hindurch, und im Osten kann
man schon die Sonne am Horizont erahnen.
Sehr vorsichtig, um Marcello nicht zu wecken, öffne ich das Fenster und atme die Morgenluft ein. Ich höre ein leichtes Rascheln
im Gras, beuge mich etwas vor und erblicke zu meiner |181| Überraschung die Signora. Sie hat einen leichten Mantel über ihr Hauskleid geworfen und wandelt auf dem Rasenstreifen auf
und ab.
Sie wirft den Kopf in den Nacken (was sie nicht tun dürfte, denn die Spitzen ihres Haares schleifen hinter ihr über das feuchte
Gras) und saugt die Morgenfrische in tiefen Zügen ein. Wie schön sie ist! Ein zum Leben erwecktes Götterbild!
Vielleicht wird sie mir zürnen, wenn ich mich zu ihr geselle. Doch bevor ich das tue, riskiere ich einen Blick auf die andere
Seite des roten Vorhangs. Der Fürst schläft nackt auf Vittorias Bett. Ich betrachte ihn einen Moment. Was für Schultern er
hat! Meine Mutter würde sagen, er sei un
boccone da re
1 . Und noch dazu ein Fürst! Ich trete leise vors Haus. Vittoria erblickt mich, ist aber nicht böse, sondern scheint erfreut, mich zu sehen.
Sie ist glücklich an diesem Morgen. Wie verzaubert.
»Caterina«, sagt sie mit leuchtenden Augen, »sieh nur, wie schön die Welt ist! Es riecht so gut: nach feuchtem Gras, nach
Erde, nach Holzfeuer.«
Mit diesen Worten kommt sie auf mich zu und umarmt mich zum ersten Mal, seit ich ihr diene. Ich bin gerührt. Wer von uns beiden
die andere mehr liebt, ist mir klar. Aber daran bin ich gewöhnt. Ich habe immer mehr gegeben als empfangen.
»Man riecht auch das Meer«, sage ich, um überhaupt etwas zu sagen.
»Das Meer, das ihn mir gebracht hat!« entgegnet sie leise mit Inbrunst.
Wenn man sie so hört, könnte man denken, das Meer sei zu keinem anderen Zweck erschaffen worden! Ich schaue sie von der Seite
an. Mein Instinkt sagt mir: das ist nicht mehr die gleiche Frau wie gestern. Sie sieht aus wie jemand, der in der Hölle eingeschlafen
und im Paradies erwacht ist. Es stimmt mich traurig: was sie in dieser Nacht kennengelernt hat, hätte sie schon seit Jahren
empfinden können, wenn sie mit einem anderen als Peretti verheiratet wäre. Armer Signor Peretti! Selbst im Bett hat er noch
dem Kardinal gehorchen müssen. Nun ist seine Signora für ihn verloren, und zwar auf immer.
Vittoria schweigt. In Gedanken wähnt sie sich wohl noch in den Armen des Fürsten. Wir schlendern stumm hin und her, |182| während unsere Männer schlafen, und atmen den Geruch von Erde und Feuchtigkeit und was weiß ich noch ein. Die Signora leuchtet
förmlich vor Glück. Sie ist sich offenbar über die Situation überhaupt nicht im klaren. Und wenn ich ihr sagte, daß wir alle
vier in der nächsten Stunde getötet werden können, würde sie mir nicht glauben.
Sie hat mich
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