Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
Rydell hinübergelangt, das Türschloss deaktiviert und sich einfach irgendwie rausfallen lassen. Er landete mit dem Rücken auf ein paar Dosen und Styroporbechern, wie es sich anfühlte. Er rollte sich herum. Rollte weiter, bis er gegen etwas stieß.
Die kleinen Kugeln sprengten große Löcher in das weiß getünchte Glas der aufgegebenen Läden. Ein ganzer Abschnitt fiel mit einem lauten Krach in sich zusammen.
Er hörte Chevette Washington gegen die Hintertür des Wohnmobils schlagen und wünschte, er könnte sie dazu bringen, damit aufzuhören.
»He! Loveless!«
Das Geballer hörte auf.
»Swobodow ist getroffen, Mann!«
Chevette schlug immer noch auf die Tür ein. Jesus.
»Er braucht ’nen Krankenwagen!«
Auf Händen und Knien an einem flachen, gefliesten Brunnen lehnend, der nach Chlor und Staub roch, sah er Loveless auf der Fahrerseite herausklettern, das Gesicht und die Brust glitschig und glänzend. Der Mann war so gründlich trainiert, ging es Rydell durch den Kopf, dass es sogar die Wirkung des Dancers durchstieß. Er bewegte sich nämlich immer noch so, wie sie es einem bei SSS beibrachten, die Pistole in beiden ausgestreckten Händen, die halbe Hocke, die geschmeidigen Schwünge durch potenzielle Schusslinien.
Und Chevette versuchte immer noch, die aus Hexcel oder woraus auch immer bestehende Rückseite des Wohnmobils einzutreten. Dann pumpte Loveless ein paar Kugeln hinein, und sie hörte ganz plötzlich damit auf.
30 KARNEVAL DER SEELEN
Um vier Uhr stieg Yamasaki die Sprossen hinunter, die er mit Loveless am vergangenen Abend im Dunkeln heraufgeklettert war.
Zwanzig Minuten, bevor sie wieder Strom gehabt hatten, war Fontaine gegangen und hatte Skinners Protesten zum Trotz ein gewaltiges Bündel Wäsche mitgenommen. Skinner hatte den Tag damit verbracht, den Inhalt des grünen Werkzeugkastens immer wieder neu zu sortieren, den er bei seinem Versuch, den Bolzenschneider zu finden, umgeworfen hatte.
Yamasaki hatte die Hände des alten Mannes dabei beobachtet, wie sie jedes Werkzeug der Reihe nach berührten, und sich eingebildet zu sehen, wie eine flüchtige Kraft oder Zielstrebigkeit in sie hineinströmte; vielleicht war es auch nur die Erinnerung an angepackte, ad acta gelegte oder beendete Aufgaben. »Werkzeug kann man immer verkaufen«, hatte Skinner nachdenklich gesagt, vielleicht zu Yamasaki, vielleicht auch zu sich selbst. »Irgend jemand kauft’s immer. Aber dann braucht man’s immer nochmal, und zwar genau das, was man verkauft hat.« Yamasaki kannte die englischen Wörter für die meisten Werkzeuge nicht, und viele kannte er überhaupt nicht. »’ne Reibahle mit Quergriff«, sagte Skinner und hob seine Faust; ein rostbrauner, maschinell hergestellter Stahlnagel ragte bedrohlich zwischen Zeige- und Mittelfinger heraus. »Das ist so ungefähr das praktischste Ding, das es gibt, Scooter, aber die meisten Menschen haben noch nie eine gesehen.«
»Wozu man braucht das, Skinner-san?«
»Um ein rundes Loch zu vergrößern. Und es bleibt dabei auch rund, wenn man’s richtig anstellt. Ist hauptsächlich für Blech gedacht, geht aber auch bei Kunststoffen und synthetischem Material. Bei allem, was dünn und halbwegs hart ist. Bis auf Glas.«
»Sie haben viel Werkzeug, Skinner-san.«
»Hab aber nie gelernt, wie man’s richtig benutzt.«
»Aber Sie haben diesen Raum gebaut?«
»Hast du schon mal ’nem echten Zimmermann bei der Arbeit zugesehen, Scooter?«
»Einmal, ja.« Yamasaki erinnerte sich an eine Demonstration auf einem Volksfest; an die fliegenden schwarzen Äxte, den Geruch von gehacktem Zedernholz. Er erinnerte sich, wie das Holz ausgesehen hatte, cremig und makellos. Ein Teehaus war für die Dauer des Festes aufgebaut worden. »Holz ist sehr selten in Tokio, Skinner-san. Dort würde man nie sehen, wie welches weggeworfen wird, nicht einmal kleine Reste.«
»Hier kommt man auch nicht so leicht dran«, sagte Skinner und rieb sich den Daumenballen mit dem Rand eines Meißels. Meinte er in Amerika, in San Francisco oder auf der Brücke? »Früher haben wir unsere Reste verfeuert, bevor wir hier Strom bekamen. Das gefiel der Stadt überhaupt nicht. Schlecht für die Luft, Scooter. Heutzutage machen wir das nicht mehr so viel.«
»Das ist Mehrheitsbeschluss?«
»Nur gesunder Menschenverstand …« Skinner steckte den Meißel in das schmierige Segeltuchfutteral und verstaute ihn sorgfältig in dem grünen Kasten.
Eine Prozession bewegte sich auf der oberen Ebene in
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